Heinrich von Kleists Nachruhm (NR 20c)

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Heinrich von Kleists Nachruhm. Eine Wirkungsgeschichten in Dokumenten. Herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle NR und laufender Nummer zitiert.]


Heinrich von Kleist und Adolphine Vogel

Wie viele Unglückliche in unsern Zeiten dahingebracht worden, ihrem Leben durch Selbstmord ein Ende zu machen, haben wir aus Zeitungen leider erfahren. Nichts aber ist vermögender, ein Gemüt rettungsloser zu zerrütten und zu jener unseligen Handlung rascher zu spornen, als Leiden der Liebe. Alle die verschiedenen Opfer, die auf diesem Wege fallen, müssen unser Mitleid schon deswegen in Anspruch nehmen, da wir dasselbe keinem Kranken versagen, der der Natur nicht mehr widerstreben kann. [...]

Heinrich von Kleist und Adolphine Vogel haben gemeinschaftlich diese Welt verlassen. Noch hat keine übereinstimmende Nachricht die Gründe bestimmt, die sie zu diesem Schritte veranlaßten. Beide besaßen viel Geist, und gewiß muß es sein, daß ihre Herzen schon seit lange ein Wehgefühl nährten, das, als notwendiges Übel für die lange Dauer des Lebens hienieden anerkannt, sie zu dem letzten Mittel bestimmte, womit die Freiheit sich den Sieg über die Notwendigkeit erwirbt. An den Ufern des heiligen Sees, zwischen Berlin und Potsdam, gossen sie auf die Wunden ihrer Herzen jenen kräftigen Balsam, der alle irdischen Schmerzen verschwinden macht — sie warfen sich in die Arme des Todes. Sie hinterließ einen Brief, worin sie erklärt, daß sie freiwillig diese Welt mit ihrem Freunde verlassen habe.

Adolphine war verheiratet. Ihr Mann war ein rechtlicher und geachteter Beamter in Preussen. Wie sehr er sie liebte, beweiset die Anzeige, die er von ihrem Tode machte: [LS 539…]

Werfet keinen Stein auf sie und laßt sie ruhen im Frieden! der schönste Beweis einer humanen Gesinnung ist der, daß ihr deren nicht spottet, die anders denken und handeln als ihr, und nicht alles verdammt, was ihr nicht begreifet! —


(Aus: Gesellschaftsblatt für gebildete Stände. München, 21. 12. 1811)


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