Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 541)
Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]
Friedrich Wilhelm III. an Hardenberg. Berlin, 27. November 1811
Ich habe mit großem Mißfallen in dem gestrigen Blatte der Voßischen Zeitung die öffentliche Anpreisung eines in der vorigen Woche begangenen vereinten Mordes und Selbstmordes gelesen. Wenn es jedem, dessen sittliches Gefühl erstorben ist, freystehen soll, seine verkehrten Ansichten in Blättern, die in jedermanns Hände kommen, laut und mit anmaßender Verachtung Beßerdenkender zu predigen: so werden alle Bemühungen, Religiosität und Sittlichkeit im Volke neu zu beleben, vergebens seyn, indem der Glaube an das einstimmige Zeugniß jedes unverdorbenen Herzens verdächtig gemacht, das moralische Urtheil verwirrt und die Kraft des Volkes im innersten Lebenskeime vergiftet wird. Ein solches Unternehmen ist desto gefährlicher und empörender, wenn es sich einer unter Genehmigung der Obrigkeit und unter öffentlicher Censur erscheinenden Zeitung bedient; und Ich trage Ihnen deshalb auf, diese Meine Gesinnung gehörigen Orts zu eröfnen und aufs nachdrücklichste einzuschärfen, damit überhaupt bei der Aufsicht auf die öffentlichen Blätter, der Mißbrauch derselben zur Verbreitung der Immoralität aufs sorgfältigste verhütet werde; auch will Ich, daß der Censor einen ernstlichen Verweis empfange und daß die in jener Ankündigung dem Publikum versprochene Schrift nicht zum Druck verstattet werde.
(Sembdners Quelle: Steig, Reinhold: H. v. Kleists Berliner Kämpfe. Berlin u. Stuttgart 1901, S. 669f.)
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