Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 506)
Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]
Marie von Kleist an Prinz Wilhelm von Preußen. Berlin, 3. September 1811
Dieser Zustand meines Herzens und Geistes … gibt mir den Mut, Eure Königl. Hoheit um eine kleine Pension für einen Verwandten zu bitten, mit dem ich seit einer großen Zahl von Jahren verbunden bin. Es ist der arme Heinrich Kleist; diese unglückselige Epoche, zusammen mit anderen Umständen, die davon die Folge sind, hat ihn, Monseigneur, ohne zu übertreiben in das äußerste Elend gebracht. Die unvergleichliche Königin setzte ihm eine Pension von 300 Rth. aus; da er nicht auf der Liste der Pensionsempfänger gewesen war, hatte er nicht den Mut, sie zu fordern. Die Verleger belasten sich in diesen zweifelhaften und unsicheren Zeiten mit keinem Werk. Ohne irgendeine Unterstützung durch Eure Königl. Hoheit weiß ich wahrhaftig nicht, was aus ihm werden soll. Ich wage daher Eure Königl. Hoheit anzuflehen, Mitleid mit ihm zu haben, das ist das richtige Wort. Wenn Sie Monseigneur Prinz Heinrich bewegen könnten, ihm eine Pension von hundert Talern auszusetzen, wenn Eure Königl. Hoheit ebensoviel dazu geben würden, hätte er wenigstens etwas für die ersten Bedürfnisse des Lebens; ich bitte Monseigneur, meine Bitte Seiner Königl. Hoheit dem Prinzen Heinrich mitzuteilen, ich bitte Sie gnädigst, sie mit all Ihren Kräften zu unterstützen, ich habe nicht das Herz, ihm selbst zu schreiben, aber ich werde eine unaussprechliche Dankbarkeit für Eure Hoheiten empfinden, wenn sie geruhen, meiner Bitte zu willfahren, ich werde diese Güte als eine Wohltat betrachten, die Sie beide mir gewähren. Ich wage zu gleicher Zeit, Ihrer Königl. Hoheit der Frau Prinzessin ein Stück [Prinz von Homburg] zu Füßen zu legen, welches der Verfasser ihr gewidmet hat und das sicher große Schönheiten enthält, auf das man jedoch, wenn ich nach der Wirkung urteile, die es auf mich gemacht hat, die Frau Prinzessin vorbereiten müßte, und vor allem wäre es nötig, daß sie den Dichter und all seine aus Shakespeare geschöpften Ideen über das Drama kennenlernte. Aber ich verspreche der Frau Prinzessin viel Befriedigung, wenn sie das Stück bis zuende liest - [Friederich von] Luck glaubt, daß es Kleists Ruhm ausmachen wird, aber dies ist nicht der Augenblick, es vorteilhaft zu verkaufen. Die Armut, in der er sich befindet, verhindert, daß er in seinen Werken Vollendung erreicht. Das ist gleichfalls ein Beweggrund, der Eure Hoheit veranlassen möge, meine Bitte zu beachten und die Erwartung zu erfüllen, mit der ich bin Euer Königl. Hoheit, Monseigneur, untertänigste und gehorsamste Dienerin Marie v. Kleist, geb. Gualtieri. [französ.]
(Sembdners Quelle: Sembdner, Helmut: Zu Heinrich und Marie v. Kleist. Jahrb. d. Dt. Schillerges. 1957, S. 170f. (Sembdner, Helmut: In Sachen Kleist, S. 176-195)
[Anmerkung Sembdner: »Kleists Schauspiel wurde abgelehnt; aber nach Kleists Tod erhielt Ulrike eine Unterstützung.«]
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