Brief 1811-05-20

Aus KleistDaten
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Berlin, 20. Mai 1811

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Wilhelm von Preußen


Durchlauchtigster Fürst,
Gnädigster Prinz und Herr!

Ew. Königlichen Hoheit nehme ich mir, im herzlichen und ehrfurchtsvollen Vertrauen auf die mir, seit früher Jugend, bei manchen Gelegenheiten erwiesene, höchste Huld und Gnade, die Freiheit, folgenden sonderbaren und für mich bedenklichen Vorfall, der kürzlich zwischen Sr. Exzellenz, dem Hr. Staatskanzler, Frh. v. Hardenberg und mir statt gefunden hat, vorzutragen. Der Wunsch, gnädigster Fürst und Herr, den ich willens bin, dem Schluß meines gehorsamsten Berichts anzuhängen, wird nichts Unedelmütiges und Unbescheidenes enthalten; meine Sache ist ganz in der Ordnung, und vielleicht bedarf es nichts, als einer Wahrnehmung des Staatskanzlers, daß Ew. Königliche Hoheit von dem ganzen Zusammenhang der Sache unterrichtet sind, um mir eine, meiner gerechten Forderung völlig angemessene, Entscheidung bei ihm auszuwirken. Der Fall, in welchem ich Ew. Königliche Hoheit um Ihre gnädigste Protektion bitte, ist dieser.

In dem von mir, von Oktober vorigen Jahres bis April des jetzigen, herausgegebenen Berliner Abendblatt, hat ein, ganz im allgemeinen die Grundsätze der Staatswirtschaft untersuchender Aufsatz gestanden, der das Unglück gehabt hat, Sr. Exzellenz, dem Hr. Staatskanzler, zu mißfallen. Sr. Exzellenz veranlaßten, von der einen Seite, ein Zensurgesetz, welches die Fortdauer des Blattes, in dem Geiste, der ihm eigen war, äußerst erschwerte, ja fast unmöglich machte; und von der anderen Seite ließen Dieselben mir mündlich, durch den damaligen Präsidenten der Polizei, Hr. Gruner, die Eröffnung machen, daß man das Blatt mit Geld unterstützen wolle, wenn ich mich entschließen könne, dasselbe so, wie es den Interessen der Staatskanzlei gemäß wäre, zu redigieren. Ich, dessen Absicht keineswegs war, den Maßregeln Sr. Exzellenz, deren Zweckmäßigkeit sich noch gar nicht beurteilen ließ, mit bestimmten Bestrebungen in den Weg zu treten, ging nun zwar in den mir gemachten Vorschlag ein; leistete aber, aus Gründen, die ich Ew. Königl. Hoheit nicht auseinander zu setzen brauche, ehrfurchtsvoll auf die Geldvergütigung Verzicht, und bat mir bloß, zu einiger Entschädigung, wegen dargebrachten Opfers der Popularität, und dadurch vorauszusehenden höchst verminderten Absatz des Blattes, die Lieferung offizieller Beiträge, von den Chefs der obersten Landesbehörden, aus. Denn diese, wenn sie mit Einsicht und so, daß sie das Publikum interessierten, gewählt wurden, konnten, auf gewisse Weise, einen jenen Verlust wieder aufhebenden und kompensierenden Geldwert für mich haben. Auf diese Begünstigung wollte sich jedoch Hr. Regierungsrat v. Raumer, mit dem ich jetzt auf Befehl Sr. Exzellenz unterhandelte, nicht einlassen; er zeigte mir, in sehr verlegenen Wendungen, wie die dadurch an den Tag kommende Abhängigkeit von der Staatskanzlei, dem Blatt alles Vertrauen des Publikums rauben würde, und gab mir zu verstehen, daß auch die Pension, von welcher mir Sr. Exzellenz bereits selbst mündlich gesprochen hatten, mir nur unter der Bedingung, daß davon nichts zur Kenntnis des Publikums käme, gezahlt werden könne. Bald darauf, da ich mit gänzlichem Stillschweigen über diesen Punkt, der mir, so vorgetragen gänzlich verwerflich schien, auf die mir von Sr. Exzellenz gleichfalls versprochenen offiziellen Beiträge, als welche allein in dem Kreis meiner Wünsche lagen, bestand: hielt Hr. v. Raumer es für das beste, alle Verhandlungen mit mir, in einem höflichen Schreiben, gänzlich abzubrechen. Nun wäre mir zwar dieser Umstand völlig gleichgültig gewesen, wenn man mir erlaubt hätte, das Blatt, mit gänzlicher Freiheit der Meinungen, so, wie Ehrfurcht vor das bestehende Gesetz sie, bei einer liberalen Ordnung der Dinge, zu äußern gestatten, fortzuführen. Da aber die Zensurbehörde, durch die willkürlichsten und unerhörtesten Maßregeln (wofür ich mir den Beweis zu führen getraue), das Blatt, dessen tägliche Erscheinung nur mit der größten Anstrengung erzwungen werden konnte, ganz zu vernichten drohte: so erklärte ich, daß wenn ich nicht derjenigen Freiheit, die alle übrigen Herausgeber öffentlicher Blätter genössen, teilhaftig würde, ich mich genötigt sehen würde, mir im Ausland einen Verleger für dieses Wochenblatt aufzusuchen. Auf diese Erklärung willigten, in einer ganz unerwarteten Wendung, Sr. Exzellenz, der Hr. Staatskanzler plötzlich in meinen vorigen, schon ganz aufgegebenen Wunsch; Dieselben ließen mir durch Hr. v. Raumer melden, daß sie, wegen Lieferung der offiziellen Beiträge, das Nötige an die Chefs der resp. Departementer, erlassen hätten; und ich, der in eine solche Zusage kein Mißtrauen setzen konnte, schloß mit meinem Buchhändler einen Kontrakt für das laufende Jahr auf 800 Thl. Pr. Kur. Honorars ab. Dem gemäß veränderte nun, in der Tat wenig zu meiner Freude, das Blatt seinen ganzen Geist; alle, die Staatswirtschaft betreffenden, Aufsätze gingen unmittelbar zur Zensur der Staatskanzlei, Hr. v. Raumer deutete mir, in mündlichen und schriftlichen Eröffnungen, mehrere Gedanken an, deren Entwickelung der Staatskanzlei angenehm sein würde, und der Präsident der Polizei, Hr. Gruner, schickte selbst einen Aufsatz, unabhängig von meiner Meinung darüber, zur Insertion in das Blatt ein. Inzwischen machte ich, zu meiner großen Bestürzung, gar bald die Erfahrung, daß man in meinen Vorschlag bloß gewilligt hatte, um des Augenblicks mächtig zu werden, und um der Herausgabe des Blattes im Auslande, von welcher ich gesprochen hatte, zuvorzukommen. Denn die offiziellen Beiträge blieben von den resp. Staatsbehörden gänzlich aus, und auf mehrere Beschwerden, die ich deshalb bei Hr. v. Raumer führte, antwortete derselbe weiter nichts, als daß es den Chefs der Departements wahrscheinlich an schicklichen und passenden Materialien fehle, um mich damit zu versorgen. Da nun das Blatt durch diesen Umstand, der das Publikum gänzlich in seiner Erwartung täuschte, allen Absatz verlor und schon, beim Ablauf des ersten Vierteljahrs, sowohl aus diesem Grunde, als wegen des dem Publiko wenig analogen Geistes, den ihm die Staatskanzlei einprägte, gänzlich zugrunde ging: so zeigte ich Sr. Exzellenz, dadurch in die größte Verlegenheit gestürzt, an, daß ich zwar zu Anfange auf jede Geldvergütigung Verzicht geleistet, daß ich aber nicht umhin könnte, ihn wegen jenes, ganz allein durch die Staatskanzlei veranlaßten, Verlustes meines jährlichen Einkommens, worauf meine Existenz gegründet gewesen wäre, um eine Entschädigung zu bitten. Aber wie groß war mein Befremden, als ich von der Staatskanzlei ein äußerst strenges Schreiben empfing, worin man mir, gleich einem unbescheidnen Menschen, unter der Andeutung, daß mein Vorgeben, ein Geldanerbieten von ihr, behufs einer den Interessen derselben gemäßen Führung des Blattes, empfangen zu haben, äußerst beleidigend sei, mein Entschädigungsgesuch rund abschlug! Bei dieser Sache war ich von mancher Seite zu sehr interessiert, als daß ich mich mit diesem Bescheid hätte beruhigen sollen. Sr. Exzellenz, der Hr. Staatskanzler, der den Brief unterschrieben hatte, konnten zwar, wie ich begriff, bei der Menge der ihnen obliegenden Geschäfte, die Äußerungen, die sie mir selbst mündlich gemacht hatten, vergessen haben; da ich aber keinen Grund hatte, so etwas bei demjenigen, der diesen Brief entworfen hatte, welches Hr. v. Raumer war, vorauszusetzen: so bat ich mir von demselben, wie Männer von Ehre in solchen Fällen zu tun pflegen, eine gefällige Erklärung über die Eröffnungen aus, die er mir im Namen Sr. Exzellenz, des Hr. Staatskanzlers, gemacht hatte. Ja, auf das Antwortschreiben Hr. v. Raumers, welches unbestimmt und unbedeutend war und nichts, als einige diplomatische Wendungen enthielt: wiederholte ich noch einmal mein Gesuch, und bat mir, binnen zweimal vier und zwanzig Stunden, mit Ja oder Nein, eine Antwort aus. Auf diesen Schritt schickte Hr. v. Raumer mir den Geh. Ob. Postrat Pistor ins Haus, um sich näher nach den Gründen, worauf ich meine Forderung stütze, zu erkundigen; und da derselbe aus meinen Papieren fand, daß auch schon der Staatsrat Gruner mir im Namen Sr. Exzellenz ein Geldanerbieten gemacht hatte: so erschien bald darauf, zur Beilegung dieser Sache, ein Schreiben von Sr. Exzellenz, dem Hr. Staatskanzler, worin dieselben, nach besserer Erwägung der Sache, wie es hieß, mein Recht, eine Entschädigung zu fordern, eingestanden. Inzwischen wollte man sich, aus welchen Gründen weiß ich nicht, auf keine unmittelbare Vergütigung einlassen; man ließ nur durch den Geh. Rat Pistor zu erkennen geben, daß man die Absicht habe, mir, zur Entschädigung wegen des gehabten Verlustes, die Redaktion des kurmärkischen Departementsblatts zu übertragen. Gleichwohl, mein gnädigster Fürst und Herr, als ich den Staatskanzler, bei der bald darauf erfolgten Einrichtung dieses Blattes, um die Redaktion desselben bat: schlug er mir dieselbe nicht nur, unter dem allgemeinen, und völlig grundlosen Vorgeben, daß sie für mich nicht passend sei, ab, sondern ging auch überhaupt auf mein Begehren, im Königl. Zivildienst angestellt zu werden, nur insofern ein, als ich mich dabei den gewöhnlichen gesetzlichen Vorschriften, wie es hieß, unterwerfen würde. Da nun weder das Alter, das ich erreicht, noch auch der Platz, den ich in der Welt einnehme, zulassen, mich bei der Bank der Referendarien anstellen zu lassen: so flehe ich Ew. Königliche Hoheit inständigst an, mich gegen so viel Unedelmütigkeiten und Unbilligkeiten die meine Heiterkeit untergraben, in Ihren gnädigsten Schutz zu nehmen. Ich bitte Ew. Königliche Hoheit, den Staatskanzler zu bewegen, mir, seiner Verpflichtung gemäß, eine, meinen Verhältnissen angemessene, und auch mit meinen anderweitigen literarischen Zwecken vereinbare Anstellung im Königl. Zivildienst anzuweisen, oder aber, falls sich ein solcher Posten nicht sobald ausmitteln lassen sollte, mir wenigstens unmittelbar ein Wartegeld auszusetzen, das für jenen empfindlichen Verlust, den ich erlitten, und den ich zu tragen ganz unfähig bin, einigermaßen als Entschädigung gelten kann. Die Zugrundrichtung jenes Blattes war um so grausamer für mich, da ich kurz zuvor durch den Tod der verewigten Königin Majestät, meiner erhabenen Wohltäterin, eine Pension verloren hatte, die Höchstdieselbe mir, zur Begründung einer unabhängigen Existenz, und zur Aufmunterung in meinen dichterischen Arbeiten, aus ihrer Privatschatulle, durch meine Kusine, Frau von Kleist, auszahlen ließ: es war eben um jenen Ausfall zu decken, daß ich dieses Blatt unternahm. Auch in diesem Umstand, durchlauchtiger, königlicher Prinz, liegt, unabhängig von meinem persönlichen Vertrauen zu Ihnen, noch ein Grund, der mich mit meiner gehorsamsten Bitte um Verwendung, vor Ihr Antlitz führt, indem ich niemand auf Erden wüßte, durch dessen Vermittelung ich das, was ich durch den Tod jener angebeteten Herrscherin verlor, lieber ersetzt zu sehen wünschte, als durch die Ihrige; und indem ich nur noch die Versicherung anzunehmen bitte, daß es die Aufgabe meines Lebens sein wird, mich dieser höchsten Gnade würdig zu machen, welches vielleicht gar bald, nach Wiederherstellung meiner äußeren Lage, durch Lieferung eines tüchtigen Werks, geschehen kann, unterschreibe ich mich, in der allertiefsten Unterwerfung, Ehrfurcht und Liebe,
Ew. Königlichen Hoheit, untertänigster
Heinrich von Kleist.
Berlin, den 20. Mai 1811
Mauerstraße Nr. 53


Zu den Übersichtsseiten (Personen, Orte, Zeit, Quellen)

Personen | Orte | Werke | Briefe | Jahresübersichten | Quellen