Brief 1809-07-17
Absender: Heinrich von Kleist
Adressat: Ulrike von Kleist
Noch niemals, meine teuerste Ulrike, bin ich so erschüttert gewesen, wie jetzt. Nicht sowohl über die Zeit - denn das, was eingetreten ist, ließ sich, auf gewisse Weise, vorhersehen; als darüber, daß ich bestimmt war, es zu überleben. Ich ging aus D[resden] weg, wie Du weißt, in der Absicht, mich mittelbar oder unmittelbar, in den Strom der Begebenheiten hinein zu werfen; doch in allen Schritten, die ich dazu tat, auf die seltsamste Weise, konterkariert, war ich genötigt, hier in Prag, wohin meine Wünsche gar nicht gingen, meinen Aufenthalt zu nehmen. Gleichwohl schien sich hier, durch B [uol], und durch die Bekanntschaften, die er mir verschaffte, ein Wirkungskreis für mich eröffnen zu wollen. Es war die schöne Zeit nach dem 21. und 22. Mai, und ich fand Gelegenheit, einige Aufsätze, die ich für ein patriotisches Wochenblatt bestimmt hatte, im Hause des Grf. v. Kollowrat, vorzulesen. Man faßte die Idee, dieses Wochenblatt zustande zu bringen, lebhaft auf, andere übernahmen es, statt meiner, den Verleger herbeizuschaffen, und nichts fehlte, als eine höhere Bewilligung, wegen welcher man geglaubt hatte, einkommen zu müssen. So lange ich lebe, vereinigte sich noch nicht soviel, um mir eine frohe Zukunft hoffen zu lassen; und nun vernichten die letzten Vorfälle nicht nur diese Unternehmung - sie vernichten meine ganze Tätigkeit überhaupt.
Ich bin gänzlich außerstand zu sagen, wie ich mich jetzt fassen werde. Ich habe Gleißenberg geschrieben, ein paar ältere Manuskripte zu verkaufen; doch das eine wird, wegen seiner Beziehung auf die Zeit, schwerlich einen Verleger, und das andere, weil es keine solche Beziehung hat, wenig Interesse finden. Kurz, meine teuerste Ulrike, das ganze Geschäft des Dichtens ist mir gelegt; denn ich bin, wie ich mich auch stelle, in der Alternative, die ich Dir soeben angegeben habe.
Die große Not, in der ich mich nun befinde, zwingt mich, so ungern ich es tue, den Kaufmann Ascher in Dresden, dem ich zu Johanni mit einer Schuld verfallen bin, um Prolongation des Termins zu bitten. Es bleibt mir nichts anderes übrig, wenn ich mir auch nur, bis ich wieder etwas ergriffen habe, meine Existenz fristen will. In Verfolg dieser Maßregel bitte ich Dich, mir die 272 Rth., oder was aus den Pfandbriefen der Tante Massow herauskommen mag, in Konv. Münze, nach Prag zu schicken. Ich bitte Dich, es sobald als möglich ist, zu tun, um mich aus Prag, wo ich sonst gar nicht fort könnte, frei zu machen. Was ich ergreifen werde, wie gesagt, weiß ich nicht; denn wenn es auch ein Handwerk wäre, so würde, bei dem, was nun die Welt erfahren wird, nichts herauskommen. Aber Hoffnung muß bei den Lebenden sein. - Vielleicht, daß die Bekanntschaften, die ich hier habe, mir zu irgend etwas behülflich sein können. - Adieu, lebe wohl, und erfreue bald mit einer Antwort
Deinen Bruder
Heinrich v. Kl.
Prag, den 17. Juli 1809
Kleine Seite, Brückengasse Nr. 39
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