Brief 1806-12-31
Königsberg, 31. Dezember 1806
Absender: Heinrich von Kleist
Adressat: Ulrike von Kleist
Ich muß dich bitten, meine teuerste Ulrike, sogleich an die Kleisten zu schreiben. Ich schicke Briefe ohne Ende an sie ab, und weiß nicht mehr, ob sie lebt, oder tot ist. Die Kleisten besitzt 30 Louisdor von mir, Pension von der K[önigin], für die verflossenen Monate April bis Septbr. Hiervon hat sie zwar 10 Louisdor, wie sie mir kurz vor dem Kriege schrieb, an Rühlen geliehen; doch diese 10 Louisdor sind einkassiert, oder es sind doch wenigstens 20 Louisdor bei ihr in Kassa. Ich brauchte dies Geld bisher nicht, teils, weil ich im Frühjahr von ihr 20, vom Dezember vorigen Jahres bis März gesammelte, Louisdor erhielt, teils auch, weil ich noch einige Monate lang Diäten vom fr[änkischen] Departement zog. Nun aber setzt mich dieser Krieg, der uns auf eine so unglaubliche Art unglücklich überrascht, in große Verlegenheit. Nicht sowohl dadurch, daß nun vom Oktober aus wahrscheinlich diese Pension ganz aufhören wird: denn ich hatte nicht so darauf gerechnet, daß sie zu meinem Fortkommen ganz unerlaßlich gewesen wäre. Da sie mich ein Jahr lang durchgeholfen hat, so hat sie gewissermaßen ihre Wirkung getan. Aber dadurch, daß der Postenkurs gestört ist, und ich weder dies Geld, noch auch Manuskripte, die ich nach Berlin geschickt hatte, oder ihren Wert, erhalten kann. Ich bitte Dich also, der Kleisten zu sagen (wenn sie noch lebt! ich weiß nicht, was ich für eine unglückliche Ahndung habe) - daß sie mir dies Geld, durch Anweisung oder durch einen Wechsel, in die Hände schaffe. Wie wäre es, wenn sie es nach Schorin schickte? Oder nach Frankfurt? Sollte Stojentin nicht dort eine Zahlung haben? Könnte er nicht das Geld in Stolpe, oder in Danzig, zahlen? Oder in Falkenburg, da Borks aus Falkenburg hier sind, und sie vielleicht eine Anweisung von ihm, aus Gefälligkeit, respektieren würden? Oder gibt es irgend eine andere Art, mir dazu zu verhelfen, da die direkte Überschickung auf der Post unmöglich ist? Interessiere Dich ein wenig für diese Sache mein liebstes Ulrikchen. Ich habe auf das äußerste angestanden, Dich damit zu beunruhigen, indem ich von Tage zu Tage auf Nachrichten von der Kleisten wartete; doch die Not ist jetzt dringend, und dieser Schritt nicht mehr auszuweichen. Wenn ich inzwischen das Geld nicht in vier bis sechs Wochen spätstens erhalten kann, so ist es mir lieber, wenn es bleibt, wo es ist, indem ich mich alsdann schon hier durch den Buchhandel werde geholfen haben: obschon dies auch, bei seinem jetzigen Zustande, nicht anders, als mit Aufopferungen geschehen kann. Mache Dir nur keine Sorgen, es wäre zu weitläufig, Dir auseinander zu setzen, warum Du ruhig sein darfst, ich versichre Dich, daß ohne diese zufälligen Umstände, meine Lage gut wäre, und daß ich Dir, wenn der Krieg nicht gekommen wäre, in kurzem Freude gemacht haben würde. Ich gebe es auch jetzt noch nicht auf, und bin Dein treuer Bruder Heinrich.
[Königsberg,] den 31. Dezb. [1806]
Schicke diesen ganzen Brief der Kleisten, damit sie doch endlich einmal wieder etwas von meiner Hand sieht.
Zu den Übersichtsseiten (Personen, Orte, Zeit, Quellen)
Personen | Orte | Werke | Briefe | Jahresübersichten | Quellen