Brief 1805-11-13
Königsberg, 13. November 1805
Absender: Heinrich von Kleist
Adressat: Karl Freiherr von Stein zum Altenstein
Hochwohlgeborner Freiherr,
Hochzuverehrender Herr Geheimer Finanzrat,
Verzeihen Sie mir, wenn ich es wage, mich Ihnen auf eine kurze Stunde wieder in ehrerbietiger Herzlichkeit zu nahn. Vielleicht wäre es meine Pflicht, vor dem zudringlichen Augenblick, in welchem wir leben, zurückzutreten, und von meinem eignen Schicksal zu schweigen, während das Schicksal Ihres ganzen Vaterlandes Sie in Anspruch nimmt. Doch die Zeit ist, bis zu meiner Abreise, ein wenig dringend, und ich möchte so gern noch, was meine künftige Bestimmung betrifft, einige Anweisungen von Ihnen erhalten.
Ich habe diesen ganzen Herbst wieder gekränkelt: ewige Beschwerden im Unterleibe, die mein Brownischer Arzt wohl dämpfen, aber nicht überwinden kann. Diese wunderbare Verknüpfung eines Geistes mit einem Konvolut von Gedärmen und Eingeweiden. Es ist, als ob ich von der Uhr abhängig wäre, die ich in meiner Tasche trage. Nun, die Welt ist groß, man kann sich darin wohl vergessen. Es gibt eine gute Arznei, sie heißt Versenkung, grundlose, in Beschäftigung und Wissenschaft. Wer nur erst die ganze Schule, aber nicht ohne etwas getan zu haben, durchgangen wäre. Denn es ist doch nicht, um etwas zu erwerben, daß wir hier leben: Ruhm und alle Güter der Welt, sie bleiben ja bei unserem Staube.
Doch ich komme zu meinem Gegenstand. Ich habe mich nun im Domänenfach ein wenig umgesehen, auch im Fache der Gewerkssachen, und würde es auch in Militärsachen getan haben, wenn nicht diese Geschäfte jetzt einer eignen Kommission übergeben wären, zu der mir der Zutritt versagt war. Nun werde ich dies zwar nicht versäumen, sobald mit dem Austritt der Truppen aus der Provinz diese Kommission wieder zu dem Kollegium zurückkehren wird. Allein ich wünschte, mein verehrungswürdigster Freund, zu wissen, für welche spezielle Branche der Geschäfte ich vorzugsweise in Franken bestimmt sein dürfte. Denn da es in einer so kurzen Zeit wohl kaum möglich war, mich in der ganzen Mannigfaltigkeit kameralistischer Arbeiten gehörig zu versuchen, so ist der Wunsch wohl verzeihlich, mich für die letzten Monate meines Hierseins ausschließlich auf eine Geschäftsart legen zu dürfen, um bei einer künftigen Anstellung wenigstens nicht ohne Beifall debütieren zu können. Wenn mir die Wahl gelassen würde, so würde ich mir zwar das Gewerksfach wählen; aber auch jede andere Bestimmung ist mir willkommen, und ich erwarte bloß Ihre Befehle.
Dies, und daß ich Ihren schätzbaren Auftrag an den Doktor Kelch richtig vollzogen habe, war es, was ich Ihnen gehorsamst zu melden hatte. Er hat Ihren schriftlichen Dank für den Elendskopf empfangen, und ist noch, wie er sagte, im Besitz mehrerer Fossile, mit welchen er Ihr Kabinett bereichern würde, wenn er Gelegenheit hätte, sie Ihnen zuzufertigen.
Erfreuen Sie mich bald mit Ihren gütigen Befehlen, und überzeugen Sie sich von der innigsten Verehrung, mit welcher ich beharre,
Ew. Hochwohlgeboren ergebenster
H. v. Kleist.
Königsberg, den 13. November 1805
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