Brief 1804-07-29

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Berlin, 29. Juli 1804

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Henriette von Schlieben


An Fräulein Henriette von Schlieben Hochwohlgeboren, zu Dresden, wohnhaft beim Japanischen Palais.

Meine teure Freundin Henriette,

ich will diese Reise des Hauptmanns von Gleißenberg, meines Jugendfreundes, nicht unbenutzt lassen, Ihnen ein paar flüchtige Zeilen von Ihrem immer treuen Heinrich Kleist in die Hände zu schanzen. Verzeihen Sie, wenn ich alle Versprechungen, mit welchen ich in Dresden von Ihnen schied, so gänzlich unerfüllt gelassen habe. Wenn uns das Schicksal so unerbittlich grimmig auf der Ferse folgt, so haben wir alle Besinnung nötig, um uns nur vor seinen Schlägen einigermaßen zu retten. Doch es bedarf nur einer kurzen Ruhe, um uns alle frohen Augenblicke der Vergangenheit, und mit ihnen alle gute Menschen ins Gedächtnis zu rufen, denen wir sie schuldig sind.

Wie ist es Ihnen denn dieses ganze lange Jahr über, das wir uns nicht gesehen haben, gegangen? Wie befindet sich Ihre würdige Frau Mutter? Und Ihre Tante? Was macht unsre liebenswürdige Freundin Caroline? Ist Wilhelm in Dresden gewesen? Und ist ihm sein Wunsch erfüllt, und ihm eine Laufbahn im Zivil eröffnet worden? Schreibt Lohse öfter als sonst? Und geht es ihm gut? Wo ist er denn jetzt? Dürfen wir hoffen, unsre liebe Caroline durch ihn bald glücklich zu sehen? - Auf alle diese Fragen, mein teuerstes Kusinchen, wird Ihnen Ihr Herz sagen, daß Sie mir die Antwort schuldig sind.

Ich habe Lohsen auf einige Zeit in Varese gesehen, wo ich einen der frohsten Tage meines Lebens verlebt habe. Wir fuhren, Werdecks, Pfuel, er, und ich, zusammen nach Madonna del Monte, einem ehemaligen Kloster an dem südlichen Fuße der Alpen; und war es diese Gesellschaft, und dieser Ort, dieser wunderschöne Ort, vielleicht auch der Genuß der gewürzreichen Weine, und der noch gewürzreicheren Lüfte dieses Landes: ich weiß es nicht; aber Freude habe ich an diesem Tage so lebhaft empfunden, daß mir diese Erscheinung noch jetzt, bei dem Kummer, der mir zugleich damals fressend ans Herz nagte, ganz verwundrungswürdig ist. - Übrigens hatte ich, bei der Gesellschaft, die uns immer umgab, nur selten Gelegenheit, mich ihm vertraulich zu nähern. Seine Verhältnisse schienen in dieser Stadt sehr mannigfaltig, selbst ein wenig verwickelt, er selber gegen mich etwas geheimnisvoll, so daß ich Ihnen keine ganz sichere Nachricht über ihn zu geben imstande war; sonst hätte ich wirklich gleich von dort aus an Sie geschrieben. - Auch hatte er eben einen Brief an Caroline angefangen, so daß ich einen Aufschub wagen zu dürfen glaubte, und späterhin durch eine zunehmende Gemütskrankheit immer unfähiger ward, die Feder zu einem Briefe an Sie anzusetzen.

Von dort aus bin ich, wie von der Furie getrieben, Frankreich von neuem mit blinder Unruhe in zwei Richtungen durchreiset, über Genf, Lyon, Paris nach Boulogne sur Mer gegangen, wo ich, wenn Bonaparte sich damals wirklich nach England mit dem Heere eingeschifft hätte, aus Lebensüberdruß einen rasenden Streich begangen haben würde; sodann von da wieder zurück über Paris nach Mainz, wo ich endlich krank niedersank, und nahe an fünf Monaten abwechselnd das Bett oder das Zimmer gehütet habe. Ich bin nicht imstande vernünftigen Menschen einigen Aufschluß über diese seltsame Reise zu geben. Ich selber habe seit meiner Krankheit die Einsicht in ihre Motiven verloren, und begreife nicht mehr, wie gewisse Dinge auf andere erfolgen konnten. - Jetzt werde ich in meinem Vaterlande bei dem Departement der auswärtigen Angelegenheiten angestellt werden, und mich vielleicht in kurzem wieder zu einer neuen Reise rüsten müssen. Denn ich soll mit einer Gesandtschaft nach Spanien gehen, und werde auf diese Art wohl Verzicht leisten müssen, jemals auf diesem Sterne zur Ruhe zu kommen. - Wie lieb sollte es mir aber sein, wenn mich diese Reise über Dresden führte, und ich an Ihrer Seite, meine liebenswürdigen Freundinnen, einige der schönen Tage der Vergangenheit wiederholen könnte! Bis dahin erfreuen Sie mich gütigst mit einem paar Zeilen von Ihrer Hand, und vergessen Sie meine Bitte nicht um Nachricht über alles, Frohes und Trauriges, was Ihr Haus betroffen haben könnte; denn alles, was Sie, geht auch mich an.

Berlin, den 29. Juli 1804

Heinrich Kleist.

N. S. Diesen Brief gebe ich dem Hauptmann v. Gleißenberg mit, der nach Gulben bei Cottbus zu seiner Braut, meiner Kusine, dem Fräulein v. Pannwitz, und vielleicht von dort, in Geschäften seines künftigen Schwiegervaters, nach Dresden geht. In diesem Falle, denk ich, werden Sie ihm wohl, als meinem Freunde, vorläufig ein freundliches Gesicht schenken, bis er Zeit gewonnen hat, es sich bei Ihnen zu verdienen. Er wird sich auch meinen Koffer ausbitten, für dessen gütige Aufbewahrung ich Ihnen allerseits ergebenst danke. - Sollten Hindernisse ihn abhalten, nach Dresden zu gehen, so wird er Ihnen diesen Brief mit der Post schicken; und in diesem Falle möchte ich wohl wissen, ob sich Gelegenheit fände, diesen Koffer mit einem Frachtwagen nach Gulben bei Cottbus an den Herrn Hauptmann v. Pannwitz zu schicken? Wenn dies nicht möglich ist, so bitte ich ihn gradezu dorthin auf die Post zu geben.


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