Brief 1804-06-24
Absender: Heinrich von Kleist
Adressat: Ulrike von Kleist
Mein liebstes Rickchen,
laß Dir einige Nachrichten über den Erfolg meiner Reise mitteilen, ein Hundsfott gibt sie besser, als er kann.
Ich kam Dienstags morgens mit Ernst und Gleißenberg hier an, mußte, weil der König abwesend war, den Mittwoch und Donnerstag versäumen, fuhr dann am Freitag nach Charlottenburg, wo ich Kökritzen endlich im Schlosse fand. Er empfing mich mit einem finstern Gesichte, und antwortete auf meine Frage, ob ich die Ehre hätte von ihm gekannt zu sein, mit einem kurzen: ja. Ich käme, fuhr ich fort, ihn in meiner wunderlichen Angelegenheit um Rat zu fragen. Der Marquis von Lucchesini hätte einen sonderbaren Brief, den ich ihm aus St. Omer zugeschickt, dem Könige vorgelegt. Dieser Brief müsse unverkennbare Zeichen einer Gemütskrankheit enthalten, und ich unterstünde mich, von Sr. Majestät Gerechtigkeit zu hoffen, daß er vor keinen politischen Richterstuhl gezogen werden würde. Ob diese Hoffnung gegründet wäre? Und ob ich, wiederhergestellt, wie ich mich fühlte, auf die Erfüllung einer Bitte um Anstellung rechnen dürfte, wenn ich wagte, sie Sr. Majestät vorzutragen? Darauf versetzte er nach einer Weile: »sind Sie wirklich jetzt hergestellt? Ganz, verstehn Sie mich, hergestellt? - Ich meine«, fuhr er, da ich ihn befremdet ansah, mit Heftigkeit fort, »ob Sie von allen Ideen und Schwindeln, die vor kurzem im Schwange waren, (er gebrauchte diese Wörter) völlig hergestellt sind?« - Ich verstünde ihn nicht, antwortete ich mit so vieler Ruhe als ich zusammenfassen konnte; ich wäre körperlich krank gewesen, und fühlte mich, bis auf eine gewisse Schwäche, die das Bad vielleicht heben würde, so ziemlich wieder hergestellt. - Er nahm das Schnupftuch aus der Tasche und schnaubte sich. »Wenn er mir die Wahrheit gestehen solle«, fing er an, und zeigte mir jetzt ein weit besseres Gesicht, als vorher, »so könne er mir nicht verhehlen, daß er sehr ungünstig von mir denke. Ich hätte das Militär verlassen, dem Zivil den Rücken gekehrt, das Ausland durchstreift, mich in der Schweiz ankaufen wollen, Versche gemacht (o meine teure Ulrike!) die Landung mitmachen wollen, usw. usw. usw. Überdies sei des Königs Grundsatz, Männer, die aus dem Militär ins Zivil übergingen, nicht besonders zu protegieren. Er könne nichts für mich tun.« - Mir traten wirklich die Tränen in die Augen. Ich sagte, ich wäre imstande, ihm eine ganz andere Erklärung aller dieser Schritte zu geben, eine ganz andere gewiß, als er vermutete. Jene Einschiffungsgeschichte z. B. hätte gar keine politischen Motive gehabt, sie gehöre vor das Forum eines Arztes weit eher, als des Kabinetts. Ich hätte bei einer fixen Idee einen gewissen Schmerz im Kopfe empfunden, der unerträglich heftig steigernd, mir das Bedürfnis nach Zerstreuung so dringend gemacht hätte, daß ich zuletzt in die Verwechslung der Erdachse gewilligt haben würde, ihn los zu werden. Es wäre doch grausam, wenn man einen Kranken verantwortlich machen wolle für Handlungen, die er im Anfalle der Schmerzen beging. - Er schien mich nicht ganz ohne Teilnahme anzuhören. - Was jenen Grundsatz des Königs beträfe, fuhr ich fort, so könne er des Königs Grundsatz nicht immer gewesen sein. Denn Sr. Majestät hätten die Gnade gehabt, mich mit dem Versprechen einer Wiederanstellung zu entlassen; ein Versprechen, an dessen Nichterfüllung ich nicht glauben könne, so lange ich mich seiner noch nicht völlig unwürdig gemacht hätte [zuerst: ein Versprechen, das ich Sorge getragen hätte, bis auf den heutigen Tag unter meinen Papieren aufzubewahren]. - Er schien wirklich auf einen Augenblick unschlüssig. Doch die zwangvolle Wendung die er jetzt plötzlich nahm, zeigte nur zu gut, was man bereits am Hofe über mich beschlossen hatte. Denn er holte mit einemmale das alte Gesicht wieder hervor, und sagte: »Es wird Ihnen zu nichts helfen. Der König hat eine vorgefaßte Meinung gegen Sie; ich zweifle daß Sie sie ihm benehmen werden. Versuchen Sie es, und schreiben Sie an ihn; doch vergessen Sie nicht die Bitte um Erlaubnis gleich hinzuzufügen, im Fall einer abschlägigen Antwort Ihr Glück im Auslande suchen zu dürfen.« - Was sagst Du dazu, mein liebes Ulrickchen? - Ich antwortete, daß ich mir die Erlaubnis ausbäte, in meinem Vaterlande bleiben zu dürfen. Ich hätte Lust meinem Könige zu dienen, keinem andern; wenn er mich nicht gebrauchen könne, so wäre mein Wunsch im Stillen mir und den Meinigen leben zu dürfen. - »Richten Sie Ihren Brief«, fiel er ein wenig betroffen ein, »wie Sie wollen. Es ist möglich, daß der König seine Meinung von Ihnen ändert; und wenn Sie ihn zu einer Anstellung geneigt machen können, so verspreche ich, Ihnen nicht entgegen zu wirken.« - Ich ersuchte ihn jetzt förmlich um diese Gnade, und wir brachen das Gespräch ab. Er bat mich noch, auf eine recht herzliche Art, um Verzeihung, wenn er mich beleidigt haben sollte, verwünschte seinen Posten, der ihm den Unwillen aller Menschen zuzüge, denen er es nicht recht machte: ich versicherte ihn, daß ich ihn mit Verehrung verließe, und fuhr nach Berlin zurück. - Ich las auf dem Wege Wielands Brief, den Du mir geschickt hast, und erhob mich, mit einem tiefen Seufzer, ein wenig wieder aus der Demütigung, die ich soeben erfahren hatte [zuerst: und erhob, in einem tiefen Seufzer, meine Brust über alle diese Menschen, die mich verachten]. - Jetzt habe ich dem Könige nun wirklich geschrieben; doch weil das Anerbieten meiner Dienste wahrscheinlich fruchtlos bleiben wird, so habe ich es wenigstens in einer Sprache getan, welche geführt zu haben, mich nicht gereuen wird. Du selbst hast es mir zur Pflicht gemacht, mich nicht zu erniedrigen; und lieber die Gunst der ganzen Welt verscherzt, als die Deinige. - Ich habe jetzt die Wahl unter einer Menge von sauren Schritten, zu deren einem ich zuletzt fähig sein werde, weil ich es muß. Zu Deinen Füßen werfe ich mich aber, mein großes Mädchen; möchte der Wunsch doch Dein Herz rühren, den ich nicht aussprechen kann.
Berlin, den 24. Juni 1804
Dein Heinrich.
N. S. Antworte mir doch bald. Ich will Deinen Brief hier erwarten. Grüße alles.
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