Brief 1802-01-12

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Bern, 12. Januar 1802

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Ulrike von Kleist


Bern, den 12. Januar 1802

(Adressiere die Briefe nach Bern)

Mein liebes Ulrikchen, der Tag, an welchem ich Deinen Brief empfing, wird einer der traurigsten meines Lebens bleiben. Die vergangne Nacht ist die dritte, die ich schlaflos zugebracht habe, weil mir immer das entsetzliche Bild vorschwebt - So unglücklich mußte diese Reise enden, die Dir niemals viele Freude gemacht hat? - Ich war in der ersten Überraschung ganz außer mir. Mir wars, als geschähe das Unglück indem ich es las, und es dauerte lange, ehe mir zum Troste einfiel, daß es ja schon seit drei Wochen vorbei war. - Wie werden mich die Verwandten von allen Seiten mit Vorwürfen überschüttet haben! Werden sie es mir verzeihen können, daß ich Dich so einsam reisen ließ? Und doch, hätte meine Gegenwart Dir zu etwas anderm dienen können, als bloß den Unfall mit Dir zu teilen?

Die andere Hälfte Deines Briefes, welche mich betrifft, ist auch nicht sehr erfreulich - Mein liebes Ulrikchen, zurückkehren zu Euch ist, so unaussprechlich ich Euch auch liebe, doch unmöglich, unmöglich. Ich will lieber das Äußerste ertragen - Laß mich. Erinnre mich nicht mehr daran. Wenn ich auch zurückkehrte, so würde ich doch gewiß, gewiß ein Amt nicht nehmen. Das ist nun einmal abgetan. Dir selbst wird es einleuchten, daß ich für die üblichen Verhältnisse gar nicht mehr passe. Sie beschränken mich nicht mehr, so wenig wie das Ufer einen anschwellenden Strom. Laß das also für immer gut sein. - Und dann, ich will ja, wohlverstanden, Deinen Willen tun, will ja hineintreten in das bürgerliche Leben, will ein Amt nehmen, eines, das für bescheidne Bedürfnisse gewiß hinreicht, und das noch dazu vor allen andern den Vorzug hat, daß es mir gefällt - ja, wenn auch wirklich mein Vermögen so tief herabgeschmolzen ist, wie Du schreibst, so kann ich doch immer noch meinen stillen, anspruchlosen Wunsch, ein Feld mit eignen Händen zu bebauen, ausführen. Ja zuletzt bleibt mir, bei meinem äußern und innern Zustand, kaum etwas anderes übrig, und es ist mir lieb, daß Notwendigkeit und Neigung hier einmal so freundlich zusammenfallen. Denn immer von meiner Kindheit an, ist mein Geist auf diesem Lebenswege vorangegangen. Ich bin so sichtbar dazu geboren, ein stilles, dunkles, unscheinbares Leben zu führen, daß mich schon die zehn oder zwölf Augen, die auf mich sehen, ängstigen. Darum eben sträube ich mich so gegen die Rückkehr, denn unmöglich wäre es mir, hinzutreten vor jene Menschen, die mit Hoffnungen auf mich sahen, unmöglich ihnen zu antworten, wenn sie mich fragen: wie hast du sie erfüllt? Ich bin nicht, was die Menschen von mir halten, mich drücken ihre Erwartungen - Ach, es ist unverantwortlich, den Ehrgeiz in uns zu erwecken, einer Furie zum Raube sind wir hingegeben - Aber nur in der Welt wenig zu sein, ist schmerzhaft, außer ihr nicht. Ach, das ist ein häßlicher Gegenstand. Von etwas anderm. - Ja, was ich sagen wollte, ich bin nun einmal so verliebt in den Gedanken, ein Feld zu bauen, daß es wohl wird geschehen müssen: Betrachte mein Herz wie einen Kranken, diesen Wunsch wie eine kleine Lüsternheit, die man, wenn sie unschädlich ist, immerhin gewähren kann. - Und im Ernste, wenn ich mein letztes Jahr überdenke, wenn ich erwäge, wie ich so seltsam erbittert gewesen bin gegen mich und alles, was mich umgab, so glaube ich fast, daß ich wirklich krank bin. Dich, zum Beispiel, mein liebes, bestes Ulrikchen, wie konnte ich Dich, oft in demselben Augenblicke, so innig lieben und doch so empfindlich beleidigen? O verzeih mir! Ich habe es mit mir selbst nicht besser gemacht. - Du rietest mir einmal in Paris, ich möchte, um heitrer zu werden, doch kein Bier mehr trinken, und sehr empfindlich war mir diese materialistische Erklärung meiner Trauer - jetzt kann ich darüber lachen, und ich glaube, daß ich auf dem Wege zur Genesung bin. Ach, Ulrike, es muß irgendwo einen Balsam für mich geben, denn der bloße Glaube an sein Dasein stärkt mich schon. - Ich will Dir wohl sagen, wie ich mir das letzte Jahr erkläre. Ich glaube, daß ich mich in Frankfurt zu übermäßig angestrengt habe, denn wirklich ist auch seit dieser Zeit mein Geist seltsam abgespannt. Darum soll er für jetzt ruhen, wie ein erschöpftes Feld, desto mehr will ich arbeiten mit Händen und Füßen, und eine Lust soll mir die Mühe sein. Ich glaube nun einmal mit Sicherheit, daß mich diese körperliche Beschäftigung wieder ganz herstellen wird. Denn zuletzt möchte alles Empfinden nur von dem Körper herrühren, und selbst die Tugend durch nichts anderes froh machen, als bloß durch eine, noch unerklärte, Beförderung der Gesundheit - Wie, was war das? So hätte ich ja wohl nicht krank sein müssen, oder -? Wie Du willst, nur keine Untersuchung! In der Bibel steht, arbeite so wird es Dir wohl gehen - ich bilde mir ein, es sei wahr, und will es auf die Gefahr hin wagen.

Und nun einen Schritt näher zum Ziele. Ich will, daß von dem Wackerbarthschen Kapitale Du, die Tante, Stojentin und Werdeck sogleich bezahlt werden. Jeder andere, der irgend mit einer Forderung an mich auftreten könnte, wird vorderhand abgewiesen, weil ich hier nicht genau die Größe der Schuld weiß, und mir zu diesem Behufe erst Papiere aus Berlin schicken lassen muß. Du kannst Leopold sagen oder schreiben, er möchte einmal in Berlin bei Zengen in meinem Büro, oder in der Kiste ein blau geheftetes Rechenbuch in Oktav aufsuchen. Da werden auf der vorletzten Seite sämtliche Posten stehen, die ich schuldig bin. - Das Buch kann er nur Pannwitzen schicken. Auch bin ich von ihnen mehr oder weniger betrogen worden, und will nicht allein leiden, was ich nicht allein verbrach. Ich ersuche also Pannwitz mir zu schreiben, wie viel sie von mir fordern, worauf ich selbst bestimmen werde, wie viel ihnen zu bezahlen ist. Die Schuld soll sodann mit diesem Teile von Seiten der Interessenten als gelöscht angesehen werden. Von mir selbst aber soll sie das nicht, und ich lege mir die Pflicht auf, auch den noch übrigen Teil einst zu bezahlen. Das soll Pannwitz ihnen sagen zu ihrer Ruhe, wenn etwas anderes sie beruhigen kann, als schwarz auf weiß. Das nun, was von meinem gesamten Kapital übrig bleibt, wenn meine Schulden bezahlt sind, darüber will ich nun so bald als möglich frei disponieren können, und ich will Dir jetzt sagen, was ich damit anzufangen denke.

Mir ist es allerdings Ernst gewesen, mein liebes Ulrikchen, mich in der Schweiz anzukaufen, und ich habe mich bereits häufig nach Gütern umgesehen, oft mehr in der Absicht, um dabei vorläufig mancherlei zu lernen, als bestimmt zu handeln. Auf meiner Reise durch dieses Land habe ich fleißig die Landleute durch Fragen gelockt, mir Nützliches und Gescheutes zu antworten. Auch habe ich einige landwirtschaftliche Lehrbücher gelesen und lese noch dergleichen, kurz, ich weiß soviel von der Sache, als nur immer in so kurzer Zeit in einen offnen Kopf hineingehen mag. Dazu kommt, daß ich durch Heinrich Zschokke einige lehrreiche Bekanntschaften gemacht habe, und nun mehrere mit Landmännern machen werde. Überall vertraue ich mich mit ziemlicher Offenheit an, und finde Wohlwollen und Unterstützung durch Rat und Tat. Zschokke selbst will sich ankaufen, sogar in meiner Nähe, auch spricht er zuweilen von dem Schweizer Bürgerrecht, das er mir verschaffen könne, und sieht dabei sehr herzlich aus; aber ich weiß noch nicht, ob ich recht lese. - Kurz, Du siehst, daß ich, ob ich gleich verliebt bin, mich doch

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nicht planlos, in blinder Begierde, über den geliebten Gegenstand hinstürze. Vielmehr gehe ich so vorsichtig zu Werke, wie es der Vernunft bei der Liebe nur immer möglich ist. - Ich habe also unter sehr vielen beurteilten Landgütern endlich am Thuner See eines gefunden, das mir selbst wohl gefällt, und, was Dir mehr gelten wird, auch von meinen hiesigen Freunden für das schicklichste gehalten wird. - Die Güter sind jetzt im Durchschnitt alle im Preise ein wenig gesunken, weil mancher, seiner politischen Meinungen wegen, entweder verdrängt wird, oder freiwillig weicht. Ich selbst aber, der ich gar keine politische Meinung habe, brauche nichts zu fürchten und zu fliehen. - Das Gut also von dem die Rede war, hat ein kleines Haus, ziemlich viel Land, ist während der Unruhen ein wenig verfallen und kostet circa 3 500 Rth. Das ist in Vergleichung der Güte mit dem Preise das beste das ich fand. Dazu kommt ein Vorteil, der mir besonders wichtig ist, nämlich daß der jetzige Besitzer das erste Jahr lang in dem Hause wohnen bleiben, und das Gut gegen Pacht übernehmen will, wodurch ich mit dem Praktischen der Landwirtschaft hinlänglich bekannt zu werden hoffe, um mich sodann allein weiter forthelfen zu können. - Auch wird Lohse, den seine Kunst ernährt, bei mir wohnen, und mir mit Hülfe an die Hand gehen. - Wenn ich also, wie Du schreibst, auf Deine Unterstützung rechnen kann, wenn Du mir eine - wie nenne ich es? Wohltat erzeigen willst, die mir mehr als das Leben retten kann, so lege mir zu meinem übriggebliebenen Kapital so viel hinzu, daß ich das Gut bezahlen kann. Das schicke mir dann so bald als möglich, und wenn Du mir auch nur einen Teil gleich, das übrige etwa in einigen Monaten schicken könntest, so würde ich gleich aus dieser Stadt gehen, wo meine Verhältnisse mir immer noch den Aufenthalt sehr teuer machen. Alles, was Du mir zulegst, lasse ich sogleich auf die erste Hypothek eintragen, und verlieren kannst Du in keinem Falle, auch in dem schlimmsten nicht.

Ob Du aber nicht etwas gewinnen wirst, ich meine, außer den Prozenten -? Mein liebes Ulrikchen, bei Dir muß ich von gewissen Dingen immer schweigen, denn ich schäme mich zu reden, gegen einen, der handelt. - Aber Du sollst doch noch einmal Deine Freude an mir haben, wenn ich Dich auch jetzt ein wenig betrübe. - Auch Tante und die Geschwister sollen mir wieder gut werden, o gewiß! Denn erzürnt sind sie auf mich, ich fühle es wohl, nicht einmal einen Gruß schenken sie dem Entfernten. Ich aber drücke mich an ihre Brust und weine, daß das Schicksal, oder mein Gemüt - und ist das nicht mein Schicksal? eine Kluft wirft zwischen mich und sie. H. K.


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