Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 542): Unterschied zwischen den Versionen

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''(Sembdners Quelle: »642«. – Lindau, Paul: Über die letzten Lebenstage H. v. Kleists und seiner Freundin. Die Gegenwart, 1873, Nr. 31-34, S. 118 (abweichende Fassung) (verbesserter Abdruck nach Textkorrekturen von G. Minde-Pouet))''
  
 
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Aktuelle Version vom 15. Dezember 2013, 11:20 Uhr

Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Peguilhen an Hardenberg. Berlin, 3. Dezember 1811

Von glaubwürdiger Hand erfahre ich, daß des Königs Majestät und vielleicht auch Ew. Exzellenz meine in die Zeitungen eingerückte Bekanntmachung wegen des Ablebens der Madame Vogel und des Herrn von Kleist ungnädig bemerkt, und besonders einen dem Geschäftsmanne nicht anstehenden Grad von Exzentrizität darin gefunden haben.

Das Urteil meines Königs und Ew. Exzellenz darf mir nicht gleichgültig sein, selbst wenn ich die egoistische Rücksicht: daß ich von Höchstdenenselben noch meine künftige Bestimmung erwarte, ganz bei Seite setze. Es ist wahrlich kein leichtes Vergehen, meinem über alles geliebten und verehrten, ohnedies schon tief gebeugten Könige auch nur einen Augenblick des Mißvergnügens verursacht zu haben. Ich erkenne meine ganze Strafbarkeit, und wenn es möglich wäre, würde ich die unglückliche im ersten Schmerz auf dringende Bitte des Rendanten Vogel geschriebene Ankündigung mit der größesten Aufopferung zurückkaufen.

Ich habe wirklich den Fehler, durch außerordentliche Handlungen enthousiasmiert zu werden, welche von einer seltenen Kraft des Willens zeugen, weil ohne diese nichts Großes denkbar ist. Eine solche Kraft - wenngleich übel gerichtet, war bei der Tat unverkennbar, und ich leugne nicht, daß meine Absicht war, sie - nicht zu rechtfertigen, aber - zu entschuldigen. Aber zugleich wollte ich darauf aufmerksam machen, daß der Mann dem Vaterland gehört, und daß es einen weit schöneren Tod gibt, als den Kleistischen; und dieses war meine Hauptidee. Ich wollte das Ereignis für das Vaterland benutzen, und wahrlich nicht Selbstmord predigen, sondern die schnöde Angst vor dem Tode, eine Krankheit des Zeitalters, bekämpfen; eine Parallele mit dem ruhmwürdigeren Tode des Ewald v. Kleist bei Kunnersdorf aufstellen usw. …

Von Natur bin ich wahrlich nicht zur Schwärmerei geneigt. Ich glaube, dieses durch meine Dienstarbeiten mehr als 20 Jahre hindurch bewiesen zu haben. Meine jetzige Hauptbeschäftigung sind die trockensten Rechnungsarbeiten, wo jede Exzentrizität sehr bald zu meinem Nachteil zu Tage kommen würde. … Ich selbst werde mich nicht eher beruhigen, als bis ich diesen Flecken durch einen ausgezeichneten Dienst, dem Vaterlande geleistet, getilgt habe, wozu ich auch den gefahrvollsten Anlaß mit Freude benutzen werde.

(Sembdners Quelle: »642«. – Lindau, Paul: Über die letzten Lebenstage H. v. Kleists und seiner Freundin. Die Gegenwart, 1873, Nr. 31-34, S. 118 (abweichende Fassung) (verbesserter Abdruck nach Textkorrekturen von G. Minde-Pouet))


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