Heinrich von Kleists Nachruhm (NR 2a)

Aus KleistDaten
Zur Navigation springen Zur Suche springen

Heinrich von Kleists Lebensspuren. Eine Wirkungsgeschichten in Dokumenten. Herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Aus Berlin, den 23. Nov. Ich eile, Ihnen, werter Freund, eine höchst tragische Geschichte zu melden, die sich hier vor einigen Tagen zugetragen, und eine große Sensation gemacht hat.

Ein hiesiger Beamter hatte eine hübsche, junge, geistreiche Frau, die aber von der Sucht, den schönen Geist zu machen, angesteckt und hauptsächlich eine erklärte Bewunderin der neusten ästhetischen Schule war.

Ein alter Schulfreund des Mannes [Adam Müller], der oft bei ihm im Hause war, führte auch seine Freunde dort ein, und unter andern auch Heinrich von Kleist. Zwischen diesem letztern und der Frau des Beamten entstand bald ein Verhältnis, das der Mann nicht mit gleichgültigen Augen ansehen konnte.

Der Himmel weiß, welche Familienszenen deshalb stattgefunden, genug, die Verführte entschloß sich mit ihrem Verführer davonzugehen, nicht, um an einem andern Orte mit ihm zu leben, vielleicht, weil beide überzeugt waren, daß es ihnen dazu an den nötigen Mitteln fehle, sondern um gemeinschaftlich zu sterben.

Heinrich von Kleist fuhr also mit seiner Geliebten nach Potsdam und kehrte dort bei einem bekannten Wirte, mit Namen Stimming, ein. Hier sandte er den Wagen zurück und bestellte bei dem Wirte ein Mittagsessen, mit dem Hinzufügen, daß nach Tische eine andere Gesellschaft aus Berlin kommen, und ihn mit seiner Begleiterin abholen würde. Beide nehmen das Mittagsessen ein, trinken darauf Kaffee und Kleist bezahlt die Rechnung des Wirts, mit der Äußerung, bei der Ankunft der erwarteten Reisenden gleich reisefertig zu sein.

Gleich darauf, als der Wirt das Zimmer wieder verlassen, hörte man schnell hintereinander zwei Schüsse fallen.

Bei der nähern Untersuchung fand man beide erschossen. Es ist nun ungewiß, ob jedes sich selbst den Tod gegeben, oder ob Kleist erst seine Geliebte, dann sich selbst erschossen. Er hat über ihrem Leichnam gelegen.

(Aus: Zeitung für die elegante Welt. Hrsg. von A. Mahlmann. Leipzig, 30. 11. 1811)


Zu den Übersichtsseiten (Personen, Orte, Zeit, Quellen)

Personen | Orte | Werke | Briefe | Jahresübersichten | Quellen | Heinrich von Kleists Nachruhm