Heinrich von Kleists Nachruhm (NR 23c)
Heinrich von Kleists Nachruhm. Eine Wirkungsgeschichten in Dokumenten. Herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle NR und laufender Nummer zitiert.]
An die Leser unserer Blätter. Wir haben unsern Lesern kürzlich in einer Berliner Korrespondenz-Nachricht [s. NR 23a] das traurige Ereignis mitgeteilt, welches sich mit Heinrich v. Kleist und der Adolphine Vogel zutrug, ohne nur im Geringsten diese Schreckenstat oder den Selbstmord überhaupt verteidigen zu wollen. – Welcher vernünftige Mann wird wohl dem Leichtsinn der Zeit, der leider zu den überspanntesten Extremen seine Zuflucht nimmt, und oft die heiligsten Bande der Menschheit mit Füßen tritt, eine Lobrede halten können? Unsere Absicht war dabei nur: eine getreue Erzählung dieser ebenso merkwürdigen als schrecklichen Tat. Daß wir unsere eigenen Ansichten darüber nicht sogleich mitteilten, ist noch kein Beweis des warmen Anteils, den wir an Selbstmördern nehmen, sondern nur der Achtung, die wir dem Publikum schuldig zu sein glaubten, indem wir weder dem Urteil unserer Leser vorgreifen, noch weniger es bestechen wollten. In einem unserer nächsten Blätter werden wir zeigen, welchen nachteiligen Einfluß eine überspannte Einbildungskraft auf den Menschen habe, und wie die erhitzte Phantasie eines Schwärmers in unsern Tagen bis zum Selbstmord ausarten kann, ohne das scheußlichste aller Laster jemals in Schutz nehmen zu wollen.
Die Redaktion
(Aus: Gemeinnützliche Blätter für das GnJ3herzogthuns Frankfurt, 3. 1. 1812)
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