Heinrich von Kleists Nachruhm (NR 19)

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Heinrich von Kleists Nachruhm. Eine Wirkungsgeschichten in Dokumenten. Herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle NR und laufender Nummer zitiert.]


Das klägliche Schicksal des mystischen Dichters Heinrich v. Kleist, der erst seine Geliebte und dann sich zu Potsdam ermordete, hat sehr lächerliche Dinge veranlaßt. Der Ehemann der letztern, Hr. Vogel, hat den Vorgang in den Berliner Zeitungen bekannt gemacht, und versichert zugleich, »der Tod seiner Frau sei rein gewesen, wie ihr Leben,« und der einzige Trost für ihren alten Vater, ihre Tochter und ihn (!!!), sei, daß sie »von der innigsten Liebe begleitet, die irdische Glückseligkeit mit der ewigen vertauscht habe«. Zu diesem wohl noch unerreichten Muster eines Ehemanns gesellt sich ein nicht weniger merkwürdiger Freund. Ein Hr. Kriegsrat Peguilhen nämlich hat angezeigt: die Selbstmörder hätten »Freunde und Freundinnen hinterlassen, zu denen die verwandten Geister aller Jahrhunderte, der Vergangenheit, der Gegenwart und der Zukunft« gehörten. Er werde für diese mit dem Beistande des tiefbetrübten Witwers, einige Bruchstücke über die Catastrophe bekannt machen. Es sei von einer Tat die Rede, wie sie nicht alle Jahrhunderte gesehen haben usw Das vernünftige Berliner Publikum ist indeß über die Arroganz höchst indigniert, mit der sich diese Neu-Mystiker unterfangen, schauderhafte Verbrechen, die sich nur durch Wahnsinn entschuldigen lassen, in den Zeitungen als Großtaten auszurufen. Merkwürdig ist der Umstand, daß die beiden beklagenswürdigen Phantasten vor ihrem Selbstmord Göthens »Wahlverwandschaften«, wie ein Erbauungsbuch, mit einander sollen gelesen haben, um Stärkung zu ihrem Vorhaben zu finden. – Kurz vorher hatte der ehemalige Dichter Hr. Falk, in der Urania versichert [s. LS 39oa], die Aufschlüsse, die Göthe in dem erwähnten Romane über das Schicksal gegeben, hätten den Herrn v. Kleist erst recht mit sich und seinen eignen Dichtungen in Einklang gesetzt. – Das bekannteste Buch des Verstorbenen ist »Käthchen von Heilbronn«.

(Aus: Zeitung f. Literatur u. Kunst. Riga, 9. 12. 1811. - Autor: [Garlieb Merkel.])


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