Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 528)
Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]
Henriette an Louis Vogel. Berlin, 20. Nov. 1811
Mein teurer geliebter Louis! Nicht länger kann ich mehr das Leben ertragen, denn es legt sich mir mit eisernen Banden an mein Herz – nenne es Krankheit, Schwäche, oder wie Du es sonst magst, ich weiß es selbst nicht zu nennen – nur so viel weiß ich zu sagen, daß ich meinem Tode als dem größten Glücke entgegensehe; könnte ich Euch doch alle, die ich liebe, mitnehmen, möchtet Ihr doch bald zum ewigen herrlichen Verein folgen, ach! dann bliebe mir ja gar nichts zu wünschen übrig. Kleist, der mein treuer Gefährte im Tode, wie er im Leben war, sein will, wird meine Überkunft besorgen und sich alsdann selbst erschießen. – Weine oder traure nicht, mein vortrefflicher Vogel, denn ich sterbe einen Tod, wie sich wohl wenige Sterbliche erfreuen können gestorben zu sein, da ich von der innigsten Liebe begleitet, die irdische Glückseligkeit mit der ewigen vertausche.
Der Himmel möge Dich, wie unser liebes Paulinchen gnädiglich behüten und Dir, wie dem herrlichen Kinde tausendfältige Freuden bescheren. – Mit unendlicher Wehmut würde ich mich von Euch beiden losreißen, wenn ich nicht erstlich für Dich die höchste Entschädigung (die Du in so großem Maße verdienst) voraussehen dürfte, und zweitens wenn ich nicht die feste Überzeugung hätte, daß Paulinchen unter der Obhut der guten lieben Manitius besser als unter der meinigen gedeihen wird. … Wäre durch die unvorhergesehene Ankunft Hoffmeisters unser Plan nicht vereitelt, so wären Kleist und ich nach Cottbus gereist, um dort fern von unseren hiesigen Bekannten, den vorhabenden Schritt zu tun, und alsdann hätten wir einen Boten nach Auras [bei Drebkau] an H[offmeister] geschickt, um als Freund die letzten Besorgungen für uns zu übernehmen; da dies nun aber nicht hat sein können, so verzeih mir die Unwahrheit, die ich Dir, bester guter Vogel, in Absicht der Potsdamer Reise gesagt habe, weil es mir ganz notwendig schien, daß Dir die erste Nachricht von unserem Tode, durch Freundes Hand käme. Meinen herrlichen alten Vater wirst Du gewiß nicht verlassen und ihm durch Deine Freundlichkeit die Stelle seines Kindes ersetzen.
Nun mein teurer Louis, tausendmal küsse ich Dich, meine Pauline und den geliebten Vater noch zum Abschied, meine guten Wünsche mögen Euch alle begleiten, und wenn von dorther die Geister sich in Freiheit durch die unermessenen Räume schwingen können, so darf ich Dich wohl nicht erst versichern, wie unsere Geister alles Übel von Deiner noch übrigen Lebensbahn wenden werden. Gott segne Paulinchen, mein liebes teures Kind, und gebe, daß ihr kleines Herz der Milde und Güte sich ganz öffuen möge, damit sie ganz das Ebenbild ihres liebenswürdigen Vaters werde, auch zweifele ich nun nicht länger an ihrem Fleiß und Ordnung, denn wirklich ist sie hierin in der letzten Zeit viel mehr als sonst zu loben gewesen. … Wenn es irgend möglich ist, erspare ja dem Vater und Paulinchen, bei der es vorzüglich leicht zu machen ist, den Schreck. …
Die Großmut meines Freundes, womit er alles und sogar sein eigenes Leben für mich aufopfert, was aber noch weit mehr, als alles dies sagen will, die Zusicherung, mich selbst, nach meinem Wunsch zu töten, die derselbe mir gegeben, macht, daß ich nichts sehnlicher wünsche, als daß er nun auch im Tode nicht von mir getrennt werde. – Du mein werter Louis wirst mir diese meine letzte Bitte gewiß nicht abschlagen, und die Gefühle der heiligsten Liebe ehren.
(Sembdners Quelle: Minde-Pouet, Georg: Kleists letzte Stunden. Teil 1 (mehr nicht ersch.): Das Akten-Material. Berlin 1925, S. 59f.
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