Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 522)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Ernst Friedrich Peguilhen. Amtliche Aussage (22. Nov. 1811)

Ich kenne den Landschafts-Rendanten Herrn Vogel in Berlin seit ungefähr 9 Jahren, und dessen Ehegattin Adolphine geborne Kaeber seit ungefähr 4 Jahren. Ich habe mit beiden in einem sehr freundschaftlichen Verhältnisse gestanden, und bin oft und häufig bei ihnen gewesen, daher kann ich auch die folgende genaue Auskunft geben:

Madame Vogel ist, so lange ich sie kenne, krank gewesen, und hat bei einem zarten, und äußerst reizbaren Nervensystem schon zu verschiedenen Zeiten zu sterben gewünscht. Hierzu kam noch, daß sie überspannte religiöse Begriffe hatte, und beständig einen hohen Grad von Glückseligkeit in der Fortdauer nach dem Tode setzte. Sie verteidigte diese, und besonders das Glück, dessen der Mensch nach dem Tode, und durch diesen teilhaftig werde, mehrmals sehr heftig gegen mich, liebte dies Gespräch sehr, und führte es bis in die kleinsten Details durch. Sie durfte auf einen vorzüglichen Grad von Bildung Anspruch machen, und liebte daher die Gesellschaft, besonders von gebildeten Männern mehr, als die Gesellschaft von Personen ihres Geschlechts.

Seit ungeßhr 2 Jahren wurde der ehemalige Lieutenant im Regt. Kgl. Leibgarde Herr von Kleist durch den Hofrat Adam Müller, mit welchem er in der Folge die Abend-Blätter gemeinschaftlich herausgegeben, im Hause des Herrn Vogel eingeführt, und da der Herr von Kleist ähnlich schwärmerisch religiöse Gesinnungen hegte, wie Mad. Vogel, so sympathisierten beide bald, und wurden Freunde. Seit jener Zeit ist Herr von Kleist beständig in das Vogelsche Haus eingegangen, und ich selbst bin Zeuge gewesen, daß er und Mad. Vogel ganze Abend am Fortepiano gesessen, und geistliche Choräle gespielt, und zusammen gesungen haben. Überhaupt glaube ich nach den von mir gemachten Bemerkungen behaupten zu können, daß zwischen beiden, eine Sympathie der Seelen, und eine geistige Liebe statt gefunden, die durch Phantasie und überspannte religiöse Begriffe und Ansichten einen so hohen Grad erreicht, daß beide endlich die Auflösung ihrer Körper für das höchste Glück angesehen, und danach gestrebt haben.

Daß die Mad. Vogel aber den Wunsch zu sterben, den sie, wie ich angeführt, schon mehrmals und vor längerer Zeit geäußert, realisieren würde, habe ich nicht geglaubt, da sie eine höchst gebildete Frau war, die in einer sehr glücklichen Ehe lebte, und ein von ihr geliebtes Kind, eine Tochter von 10 Jahr besaß.

(Sembdners Quelle: Minde-Pouet, Georg: Kleists letzte Stunden. Teil 1 (mehr nicht ersch.): Das Akten-Material. Berlin 1925, S. 17)


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