Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 513)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Marie von Kleist an ihren Sohn. Groß-Gievitz, 24. Oktober 1811

Überhaupt sind meine Bekannten recht nachlässig. Heinrich Kleist hat in diesen 4 Wochen einmal geschrieben. Obgleich ich ihm 4 Briefe bei verschiedenen Veranlassungen zugeschickt habe, so ist keine Antwort auf diesen 4 Briefen erfolgt. Gehe doch gleich zu ihm und sehe, woran es liegt. [Von hier an französisch:] Sieh, ob seine Lage vielleicht so traurig ist, daß er nicht einmal Lust hat, davon zu sprechen. Ich gestehe Dir, daß meine Absicht war, das Geld, das seine Schwester mir für ihn übergeben hat, bis zu der Gelegenheit aufzuheben, für die das Geld bestimmt ist, aber wenn er zu unglücklich ist, werde ich ihm einen Teil davon sogleich geben. Ich muß nur wissen, ob er in Berlin ist, damit ihm das Geld geschickt werden kann und nicht verloren geht. Denn da ich gar keine Nachricht erhalte, fange ich zu fürchten an, daß er in seiner Verzweiflung Berlin verlassen hat, ohne es mir zu sagen, und zu Fuß und ohne Geld nach Wien unterwegs ist, und das würde mir einen unaussprechlichen Kummer machen, da ich ihm in dieser üblen Lage helfen könnte. Schreibe mir daher sogleich, ob er in Berlin ist und was er macht. Gehe hin, sobald Du diesen Brief erhältst. Aber schiebe es nicht auf, ich bitte Dich darum, denn man muß niemals aufschieben, einem Unglücklichen zu helfen. Du erhältst diesen Brief Sonntag gegen Abend. Gehe sogleich zu ihm und schreibe mir dann sofort: er ist in Berlin, weiter nichts. Wenn du diese zwei Zeilen noch Sonntag vor 7 Uhr zur Post bringst, bekomme ich sie am Mittwoch, und kann dann Donnerstag, den 31. Oktober, darauf antworten, und er erhält sein Geld am gleichen Tage oder spätestens den nächsten Tag. Er ist dann höchstens noch acht Tage im Elend. Sei also nicht nachlässig. Wenn man den Menschen nicht mit Geld zu helfen vermag, muß man ihnen wenigstens durch guten Willen helfen.

Aber sprich nicht zu ihm von diesem Geld.

(Sembdners Quelle: Hennig, Bruno: Marie v. Kleist, ihre Beziehungen zu H. v. Kleist. Sonntagsbeil. z. Voss. Ztg., Berlin, 12. u. 19. 9. 1909)


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