Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 437a)
Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]
Achim von Arnim an Iffland. Berlin, 6. Dezember 1810
Noch ein näherer Grund bestimmt mich, Sie auf diesen Vorschlag [Herausgabe eines Wochenblatts für das Theater] aufmerksam zu machen; es ist der gänzliche Zensurdruck, unter welchem in Hinsicht des Theaters jetzt die öffentlichen Blätter schmachten, der endlich notwendig in öffentliches Lärmen ausartet. Vielleicht wissen Sie selbst nicht, wieweit dieser Druck geht, der alles übertrifft, was in irgendeinem Lande an Zwang dieser Art getroffen wird, und wovon, freilich mit Unrecht, von den meisten das Gehässige auf Sie geworfen wird. … Die Polizei ist bis zum Wahnsinn (der alles auf eine fixe Idee bezieht) ängstlich geworden in allem, was das Theater betrifft; so wurde ein ganz unschuldiger, aber an sich nicht unnützer kleiner Aufsatz von mir für die Abendblätter, worin ich nach und nach eine Reihe guter Stücke nennen wollte, die den Bedingungen entsprächen, die Sie selbst für die Aufführbarkeit aufgestellt haben, verworfen; ich glaubte einer Zeit, wo der Andrang des Neuen so mannigfaltig und doch häufig so unzweckmäßig ist, mit dieser Auswahl einen wesentlichen Dienst zu tun … Bei dieser Gelegenheit wird es notwendig zu erinnern, daß zwischen dem Andrange der Dichter einiger Unterschied gemacht werden müßte; ein Dichter, dessen näheres Vaterland unser Staat, oder gar unsre Stadt ist, hat ein näheres Recht, mit seinen Werken zugelassen zu werden, als ein fremder Dichter, der an einem andern Orte sein Leben und seine Verhältnisse begründen kann; sein Werk ist auch ein Teil des Volkes, dem das ganze Schauspielhaus erbauet ist. Wenn aber nun gar so ein Dichter schon einiges mit Beifall der Bühne übergeben hat wie Contessa, Robert (beide kenne ich nur von Ansehen) u. a., wie muß es ihn kränken, [sich] gegen ganz talentlose Arbeiten, wie einige der Mad. Weissenturn … zurückgesetzt zu sehen. … Schließlich, indem ich Ihnen meine Unparteilichkeit gegen M[slle] Herbst dadurch versichere, daß ich weder bei der ersten noch bei der zweiten Vorstellung der Schweizerfamilie gegenwärtig gewesen bin, kann ich Ihnen meine Verwunderung nicht verbergen, daß solch Äußerungen des Mißfallens … von Ihnen so bedeutend geachtet werden können, um sich einem Volke entziehen zu wollen, das Ihnen so viele Zeichen von Achtung und Dankbarkeit … gegeben hat.
(Sembdners Quelle: Schmidt, Erich: Arnim an Iffliand. Beil. z. Allgem. Zeitung, München, 17. 1. 1907)
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