Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 436c)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Journal des Luxus und der Moden (Januar 1811)

Berlin, 1. Dez. 1810. Hier ist leider eine starke Theater-Koalition, die gegen den würdigen Iffland gerichtet ist. Eine Anzahl Schriftsteller, deren Produkte von der Direktion wohl zurückgewiesen werden mußten, weil sie teils unsinnig, teils zu seicht waren, hat sich vereinigt, um ihn in allen seinen tätigen und redlichen Schritten für das ersprießlichste Wohl unserer Bühne zu necken, zu stören und zu beunruhigen. … In der hiesigen Zeitung geschah eine Aufforderung, die Schweizerfamilie, welche auf so manchen Bühnen so sehr gefallen habe, doch auch auf unserm Theater erscheinen zu lassen. Die Oper war lange verteilt, da diese Aufforderung kam, und wenn sie länger ausblieb, als man vermutete, so war die Mühe daran schuld, welche sich Iffland mit der Schauspielerin gab, welche die Emmeline spielen sollte, denn er wußte wohl, daß nur die Oper in denen Städten gefallen hatte und gefallen konnte, wo diese Rolle in guten Händen war, wie z. B. in Wien Dem. Milder. Dies wollte die Koalition ignorieren. Im Abendblatte, einer Tagesschrift, wurde die vorgreifende Frage aufgeworfen: »Ob die Direktion Mad. Müller oder Eunicke oder Dem. Schmalz diese Rolle zuteilen würde.« Darauf wurde, wie natürlich, von der Direktion nicht geantwortet. Nach einiger Zeit wurde von anderer Seite bekannt gemacht, keine von den drei vorgeschlagenen Sängerinnen, sondern Dem. Herbst würde die Rolle spielen. Die Oper wurde gegeben, und Dem. Herbst tat sowohl im Gesang als Spiel über alle Erwartung. … Nach Beendigung der Oper erhoben sich einige Pocher, der allgemeine Beifall aber überstimmte sie, und Dem. Herbst wurde herausgerufen. Da nach einem Polizei gesetz das Pochen im Schauspielhause eigentlich verboten ist, so nahm ein Polizei-Offiziant einen Pocher fest; das hätte er gekonnt, aber er tat einen üblen Mißgriff, indem er den jungen Mann aufs Theater brachte, um der Schauspielerin Herbst Abbitte zu tun. …

Der junge Mann, welcher verhaftet wurde, war ein Mann von Familie, welcher unter jungen Edelleuten und Offizieren gewissermaßen rechtmäßige Verteidiger, doch ohne seine Anregung, fand, weil man sich verkehrt benommen hatte; daher bildete sich eine gewaltige Partie gegen Dem. Herbst, da die Schweizerfamilie für den 26. November wieder angekündigt worden war. … Die Ouvertüre und die ersten Szenen wurden ruhig angehört, aber sowie Dem. Herbst erschien, hieß es: Nun kann's losgehen, und nun klatschten, pfiffen und trommelten viele durcheinander. Die Schauspielerin entfernte sich, und man fing die Szene von neuem an, aber ehe sie noch einen Ton sang, rief ein Spötter Da Capa; jetzt entstand ein allgemeines Gelächter, die Schauspielerin mußte aufhören und der Vorhang sank. Wache und Polizei waren indes in voller Tätigkeit. … An der Stelle der Schweizerfamilie wurden die Geschwister und der Schatzgräber gegeben.

Leider ist es sehr wahrscheinlich, daß wir über diesen Lärm unsern Iffland verlieren. Sein erstes Wort auf dem Theater ist gewesen: Die Pocher werden sie behalten, aber mich nicht, und in allem Ernst hat er seine Entlassung den folgenden Tag begehrt.

(Sembdners Quelle: Journal des Luxus und der Moden. Hrsg. v. Friedr. Justin Bertuch. Weimar 1811)


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