Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 428)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Der Beobachter an der Spree. Berlin, 19. November 1810

Auszüge aus den Krähwinkelschen merkwürdigen Tagesblättern

Die Redaktion dieser seit einigen Mondswechseln erscheinenden Blätter hat uns dienstfreundlich und kollegialisch ersucht, jezuweilen aus denselben unserm Publikum etwas zum Besten zu geben.

Indem wir nun aus einem vor uns liegenden Paket uns von der Nützlichkeit, Mannigfaltigkeit, Merkwürdigkeit und dem allgemeinen Interesse sattsam überzeugt haben, so sind wir entschlossen, aus allen Rubriken, vorzüglich aus der darin enthaltenen Tagesgeschichte, in jedem unserer künftigen Blätter das Merkwürdigste aufzunehmen, um einerseits das Publikum danach lüstern und zur eignen Anschaffung der Tagesblätter geneigt zu machen und den Unternehmern dadurch auf die Beine zu helfen, sowie auch andrerseits zu beweisen, daß wir, wie immer, jedes neue Unternehmen, was selbst das unsrige auf den ersten Blick zu beeinträchtigen scheinen könnte, dennoch mit aller Wärme und Uneigennützigkeit unterstützen und auch diese Exzerpte gratis aufnehmen. …

Gelehrt scheinende Sachen

Seitdem in Athen [»Spreeathen«] die akademischen Vorlesungen ihren Anfang genommen, stehen mehrere der ehemaligen ästhetischen belletristischen und unwissenschaftlich-wissenschaftlichen Katheder auf öffentlichem Trödel, und haben die Lektoren [Adam Müller!] teils das Gewehr gestreckt, teils sind sie auf Reisen und Abenteuer ausgezogen. …

Tagesneuigkeiten

Am verwichenen Donnerstag sind durch Nachlässigkeit zweier Dienstmädchen die Erbsen angebrannt und kaum zu genießen gewesen.

Auf der Aufziehbrücke ersäufte am Mittwoch Morgens vor der Reveille der Lebküchler Honigkuchen - zwei in einer Falle gefangene Ratten, und ist deshalb zur Verantwortung gezogen.

Gestern Abend gegen 7 Uhr verbreitete sich bei der großen Dunkelheit auf einmal eine bedeutende Helligkeit. Bei näherer Untersuchung fand sich, daß der Mond eben im Aufgehen begriffen war. …

Durch diese weitläuftige Inhaltsanzeige der Krähwinkelschen Tagesblätter glauben wir nicht nur der Redaktion derselben sattsam genügt, sondern auch das Publikum auf diese neue leckere Kost übervoll aufmerksam gemacht, zur Tafel geladen, und uns des Dankes beider wert gemacht zu haben. Wir offerieren der erstern auch noch recht gern unsere Blätter, wenn es derselben an humoristischem Stoff fehlen sollte, nach Belieben zu nützen und zu plündern und bitten bloß, nicht buchstäblich zu exzerpieren, um den Schein zu vermeiden, daß sich leichter etwas abschreibt als entwirft, oder mit Kosten anschafft.

(Sembdners Quelle: Sembdner, Helmut: Die Berliner Abendblätter H. v. Kleists, ihre Quellen und ihre Redaktion. Schriften d. Kleistges., Berlin 1939, S. 20-23. – Der Beobachter an der Spree, oder wöchentliche Neuigkeiten und Erzählungen für Stadt- und Landbewohner. Hrsg. v. d. vielwissenden Gesellschaft.Jg. 9, Berlin 1810)


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