Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 384)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Johannes Falk, Goethe aus persönlichem Umgange dargestellt (1832)

Einst [Ende 1810] kam das Gespräch auf Kleist und dessen »Käthchen von Heilbronn«. Goethe tadelt an ihm die nordische Schärfe des Hypochonders; es sei einem gereiften Verstande unmöglich, in die Gewaltsamkeit solcher Motive, wie er sich ihrer als Dichter bediene, mit Vergnügen einzugehen. Auch in seinem »Kohlhaas«, artig erzählt und geistreich zusammengestellt, wie er sei, komme doch alles gar zu ungefüg. Es gehöre ein großer Geist des Widerspruches dazu, um einen so einzelnen Fall mit so durchgeführter, gründlicher Hypochondrie im Weltlaufe geltend zu machen. Es gebe ein Unschönes in der Natur, ein Beängstigendes, mit dem sich die Dichtkunst bei noch so kunstreicher Behandlung weder befassen, noch aussöhnen könne. Und wieder kam er zurück auf die Heiterkeit, auf die Anmut, auf die fröhlich bedeutsame Lebensbetrachtung italienischer Novellen, mit denen er sich damals, je trüber die Zeit um ihn aussah, desto angelegentlicher beschäftigte.

Dabei brachte er in Erinnerung, daß die heitersten jener Erzählungen ebenfalls einem trüben Zeitraume, wo die Pest regierte, ihr Dasein verdankten. »Ich habe ein Recht,« fuhr er nach einer Pause fort, »Kleist zu tadeln, weil ich ihn geliebt und gehoben habe; aber sei es nun, daß seine Ausbildung, wie es jetzt bei vielen der Fall ist, durch die Zeit gestört wurde, oder was sonst für eine Ursache zum Grunde liegt; genug er hält nicht, was er zugesagt. Sein Hypochonder ist gar zu arg; er richtet ihn als Menschen und Dichter zugrunde. [LS 252] Das Käthchen von Heilbronn«, fuhr er fort, indem er sich zu mir wandte, »da ich Ihre gute Gesinnung für Kleist kenne, sollen Sie lesen und mir die Hauptmotive davon wiedererzählen. Nach diesem erst will ich einmal mit mir zurate gehen, ob ich es auch lesen kann. Beim Lesen seiner ›Penthesilea‹ bin ich neulich gar zu übel weggekommen.« [LS 281]

(Sembdners Quelle: Falk, Johannes: Goethe aus näherm persönlichen Umgange dargestellt. E. nachgelass. Werk. Leipzig 1832, S. 120-23)


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