Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 313)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


General von Hüser, Denkwürdigkeiten (1877)

Ich kam durch diese Geschäfte [in Berlin Sommer 1808] in mehrfache Berührung mit dem Lieutenant von Lützow [Leopold Heinrich, Bruder des Freischarführers], der bei seinem Vater, dem Obersten, Adjutantendienste versah. Bei einem Gespräch mit ihm und einigen andern über den Jammer unseres Vaterlandes, äußerte ich meine Entrüstung darüber, daß niemand sich fände, der auf eigne Hand an die Spitze einer Erhebung treten und Gleichgesinnte um sich sammeln wolle, denen es vielleicht gelingen könne, den Feind aus dem Lande zu jagen. Lützow sah mich einen Augenblick ernsthaft an, nahm mich dann bei der Hand und führte mich in eine entfernte Fensternische, wo er mir sagte, daß es allerdings Männer meiner Gesinnung gebe, daß man jedoch die äußerste Vorsicht gebrauchen müsse, weil man nicht sich allein, sondern König und Staat in Gefahr bringen könne. Näheres dürfe er mir noch nicht mitteilen, doch solle ich mir überlegen, wie ich eintretenden Falls Menschen, Waffen und Kriegsmaterial beschaffen könne. Auch überlasse er es mir, auf meine Gefahr, wo ich gleiche Gesinnung vermute, ähnliche Andeutungen zu machen, nie aber den Lützowschen Namen zu nennen, oder überhaupt eine der geworbenen Personen mit der anderen bekannt zu machen. Ich bemühte mich nach dieser Unterredung, der manche spätere folgte, mir Kenntnis von dem Aufenthalte und den Verhältnissen ehemaliger Unteroffiziere und Soldaten meines aufgelösten Regiments zu verschaffen. … Auch verschiedene kleine Reisen wurden erforderlich, sowohl um Personen zu sprechen, als auch um in unbedeutenden, wenig beaufsichtigten Orten Briefe zur Post zu geben, die man in Berlin, wo die Post unter französischer Kontrolle stand, ihr nicht anzuvertrauen wagte. So bin ich zum Beispiel mehrere Male bis Baruth geritten, um dort an den als Dichter bekannten Heinrich von Kleist, der unser Gesinnungsgenosse war und in Dresden lebte, Briefe auf die Post zu bringen. …

Durch Lützow und unsere gemeinsamen Bestrebungen kam ich jetzt mit dem Lieutenant von Räder vom ehemaligen Regiment Möllendorff und durch ihn mit seinem Bruder und einem Kreise seltener Männer in näheren Verkehr, dem ich unendlich viel verdanke … Als die für mich Bedeutendsten nenne ich hier den Capitain von Bardeleben vom aufgelösten Regiment Herzog von Braunschweig-Oels, den Kammergerichtsrat Eichhorn, der in späterer Zeit mein Schwager werden sollte, den Buchhändler Reimer, den Major von Grolmann. Durch Reimer wurden in der Folge auch Schleiermacher und Ernst Moritz Arndt, der sich zeitweise in Berlin aufhielt, diesem Kreise zugeführt, noch etwas später schlossen sich ihm der Major Graf Chazot und der damalige Oberst von Gneisenau an. …

Um mit Stein und Scharnhorst in Verbindung zu bleiben und ihnen die Fortschritte unsrer Wirksamkeit mitzuteilen, ward der ältere Röder mehrere Male nach Königsberg gesendet, von wo aus man sich ganz zufrieden mit unsern Bestrebungen erklärte. Bei dieser Gelegenheit will ich übrigens erwähnen, daß wir mit dem sogenannten Tugendbunde durchaus nichts zu tun hatten, wiewohl wir von seiner Existenz wußten, und daß unsere Verbindung überhaupt in keiner Weise ein organisierter Bund zu nennen war.

(Sembdners Quelle: Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Generals der Infanterie von Hüser. Hrsg. v. M[athilde] Q[uednow]. Mit e. Vorwort von Prof. Dr. [W.] Maurenbrecher. Berlin: G. Reimer 1877, S. 70ff., 73f.)

[Anmerkung Sembdner: »Einige Namen dieses Geheimbundes begegnen uns in der Christlich-deutschen Tischgesellschaft wieder. [s. LS 466, LS 467]


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