Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 298)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


[Adam Müller.] Phöbus. 7. Stück, Juli [Dezember] 1808

Philosophische und kritische Miszellen. Einleitung

A [Kleist].- Clavigo sagt, da ihm Carlos eine neue Liebschaft einreden will: er halte nicht viel auf solche Vorschläge; ein Roman, der nicht ganz von selbst komme, sei nicht imstande, ihn einzunehmen. - Das ist mein Mann! Wenn werden doch Schriftsteller und Leser in Deutschland so keusch und männlich von einander und von ihrer Liebschaft denken. Dieses Kuppeln, diese Zwischenträgerei der Rezensenten und besonders, - daß es zum Bedürfnis des Publikums geworden, zeigt mir, wie sündhaft und unrein Literatur und Geschmack in Deutschland sein müssen. Da ist mir noch kein Leser vorgekommen, welcher sich gebührlich geschämt hätte, irgend ein schönes Kind der Literatur aus zweiter Hand zu kaufen. Als wenn sie herkömmlich ein für allemal die erste Blüte der Liebe den Rezensenten überlassen müßten, wie in gewissen Ländern die Edelleute über die Bräute ihrer Untertanen ein ähnliches Recht haben - ja wahrhaftig! es gibt so entnervte Leser in Deutschland, die an unmittelbaren Umgang mit den Werken des Geistes nicht mehr denken, die sich jahraus jahrein mit den Literaturzeitungen und - ihrer Zuschauerrolle begnügen.

B [Adam Müller]. Wie magst du, mein wohlerfahrner und doch so spekulativer A, einstimmen, in den gemeinen Klaggesang über die Zeit? Der Zeitungsleser werden täglich mehr, meinst du, der Agierenden weniger; und demnach, willst du fortfahren, muß in unserm Kunstjournal, falls wir nur bestehen wollen, nicht bloß auf die Agierenden Rücksicht genommen, sondern auch ein Stück Zeitung zum Besten gegeben werden. -

C [Rühle]. Ist schlechterdings notwendig, wie ich euch vom Anfang gesagt: Heutzutage müssen die solidesten Kaufleute Mäklergeschäfte nebenher treiben! Der Markt von Europa ist groß, und die Natur hat vornehmlich Deutschland zum Zwischenhandel bestimmt. Sonach müßt ihr euch fügen! Die paar Gold- und Silberstoffe, welche ihr da aushängt, sind noch nicht die Welt; das elegante Schild, welches ihr ausstellt, haben die Vorübergehenden gratis; und eure Firma - ich sage nichts: dankt Gott, daß ihr das Geld zur Entreprise im Kasten habt. Besser tätet ihr, ihr behieltet es darin.

B. Unterbrichst du uns denn immer, lieber ökonomischer Rat! Du bist eine höchst wesentliche Person, umsichtig, tätig, und was mehr sagen will, agil: du weißt am besten, welche andre größere Rolle, wir, deines Genies eingedenk, dir noch zugedacht. Noch aber widerstehst du unserm A und seiner großmütigen Natur. Laß mir, ich bitte, die Zeit, jenen Edlen zu besänftigen, und seine heilige Wildheit zu zähmen.

C. Auch ich habe einst rezensiert - und so hat sein Gleichnis vom Kuppeln mich persönlich angegriffen. Doch es tut nichts, ich entäußre mich: ich will nichts sein als Geist - Geist eurer Kasse! Wenn ich also in guter Absicht die Rezensenten mit den Mäklern vergliche -

A. Mäklern, ich bin zufrieden! Wer treibt denn dies Geschäft, als ein kreditloser Anfänger und -

C. - Und ein Banqueroutierer, willst du sagen. Du dauerst mich, mein Kind, mein ironischer Kunstfreund, mit der schwerfälligen Moral! .. Denkt doch an die Buchhändler! Welche Autorität, welchen Einfluß kann euch eine Handvoll Lob und Tadel, klug ausgestreut, einbringen. Welcher Zulauf von allen Seiten! Wie gewürzig, wie piquant wird die Schüssel, die ihr dem Publikum vorsetzt. Nicht bloß um die Improvisatoren und Marktschreier versammelt sich die Menge: auch eine derbe Rauferei hat etwas Anziehendes, zumal in unserm Norden. Mischt von beiden, ich bitte euch! Die Corinna, die doch gewiß singen kann, steigt, wenn ihre Stunde gekommen, auch wieder herunter vom Capitol, und kritisiert Künste, Zeiten und die Völker Europas. Kurz, damit ihr selbst nicht bauquerout macht, und dann zur Mäkelei eure Zuflucht nehmen müßt, so rate ich euch: treibt das Geschäft gleich von Hause aus. Geht das eine nicht, so geht doch das andre: will's mit dem Kunstjournal nicht fort, wird eine Literaturzeitung daraus. Und wahrlich dazu ist der B ein trefflicher Mann! Wie man eine Hand umdreht, macht er aus jeder Wissenschaft eine Kunst, und treibt sie dergestalt alle ins Kunstjournal hinein, und, so es die Umstände wollen, auch wieder in die Literaturzeitung hinaus.

A. Nun gut, ich füge mich. Baut euren Markt auf! Schleppt philosophische, kritische und Zeitungs-Waren zusammen, so viel ihr vermögt. Aber es werden Grenzen abgesteckt. In der einen Hälfte dauert das alte ernsthafte Spiel fort; die andre Hälfte des Phöbus, in der wir jetzt stehen, überlasse ich euch, und ziehe mich zurück.

(Sembdners Quelle: Phöbus. E. Journal f. d. Kunst. Hrsg. v. H. v. Kleist u. Adam H. Müller. Dresden 1808 (Fotomechan. Nachdruck. Nachwort u. Kommentar v. H. Sembdner, Stuttgart 1961))


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