Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 254)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


[Böttiger:] Der Freimüthige. 28. Mai 1808

Hierauf zeigt sich uns Hr. v. Kleist [im Märzheft des Phöbus] von einer neuen Seite, nämlich im Lustspiele. Wir erhalten Fragmente - diesmal nicht organische - aus dem Lustspiele: Der zerbrochene Krug. Die Anmerkung belehrt uns, daß die Herausgeber vorher willens gewesen seien, das Fragment eines größeren Werks von demselben Verfasser, Robert Guiskard, Herzog der Normänner, ein Trauerspiel, hier einzurücken, doch, da dies kleine, vor mehrern Jahren zusammengesetzte (sic) Lustspiel eben jetzt auf der Bühne von Weimar verunglückt sei, so werde es die Leser vielleicht interessieren, einigermaßen prüfen zu können, worin dies seinen Grund habe, und so solle es denn als eine Art von Neuigkeit des Tages hier seinen Platz finden. Wenn man freilich Bruchstücke aus allen verunglückten Stücken im Journale für die Kunst einrücken wollte, so dürften diese zu Folianten anwachsen müssen; aber insofern dies Lustspiel zu Weimar, wo Goethe sich seiner annahm, verunglückte, dürfte das Phänomen schon neu genug sein, um den Platz zu verdienen, den es einnimmt. Freilich scheint es den Herausgebern nicht Ernst mit dem Geständnisse, daß es den Grund des Verunglückens in sich selbst trage, und sie scheinen es vielmehr als einen Beweis aufzustellen, daß auch das gebildetste und geduldigste Publikum manchmal Seitensprünge mache; aber wir möchten doch wissen, ob die Leser nicht auch Lust bekommen möchten, mitzupfeifen, wie es die Zuschauer in Weimar taten. Der Gang des Stücks, den dies Fragment nicht angibt, ist aus öffentlichen Blättern - besonders der Theaterzeitung [s. LS 247], die ihrer brauchbaren Korrespondenz-Nachrichten wegen ein zahlreiches Publikum verdient - bekannt; hier können wir bloß die Schönheiten des Dialogs und des Witzes bewundern. Einige Pröbchen, ohne allen Kommentar, daß der Leser um so unbefangener richte. Sehr ästhetisch beginnt das Stück damit, daß der Richter Adam sitzt, und sich ein Bein verbindet, übrigens auch das Gesicht braun und blau zerschlagen und zerrissen darstellt. … Nach Form der Penthesilea heißt es ferner:

Adam. Ich müßt ein Ochs gewesen sein -
Licht.               Was?
Adam.                 Was!
Licht.                   Ich fragte –:
Adam. Ihr fragtet, ob ich? -
Licht.                 Ob ihr taub seid, fragt' ich.

Mit Zartheit spricht weiterhin Frau Marthe:

Der Unverschämte! Der Hallunke, der!
Aufs Rad (sic) will ich ihn sehen, oder mich
Nicht mehr geduldig auf den Rücken legen.

Und zuletzt zieht sich der Richter Adam sehr fein aus der Verlegenheit, sagend:

Adam. Wohin auch, alter Richter, dachtest du?
Verflucht' das pips'ge Perlhuhn mir! daß es
Krepiert wär an der Pest in Indien!
Stets liegt der Kloß von Nudeln mir im Sinn.
Walter. Was liegt - was für ein Kloß liegt euch -?
Adam.               Der Nudelkloß,
Verzeiht, den ich dem Huhne geben soll.
Schluckt mir das Aas die Pille nicht herunter,
Mein Seel, so weiß ich nicht, wie's werden wird.

Und eine solche Unterhaltung wollte man in Weimar nicht goutieren; ist das nicht himmelschreiend?

Doch vielleicht rechnet uns Hr. v. Kleist zu den Hühnerhunden seiner ersten von den unter Nr. III folgenden Fabeln, die einen Vogel zu fangen gedachten, der aber, als sie ihn bedrängten, sich in die Lüfte schwang; und wozu die Moral ist: Witz! wenn du dich in die Luft erhebst: wie stehen die Weisen und blicken dir nach! Die zweite Fabel führt die Aufschrift: Die Fabel ohne Moral, und man könnte ebensogut auch hinzusetzen: ohne wahren Sinn.

(Sembdners Quelle: Der Freimüthige, oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser. 1808)


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