Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 239a)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Baron Buol an Ferdinand Graf Pálffy in Wien. Dresden, 21. Oktober 1087

Diesem Angebot füge ich ein weiteres hinzu, das Ihnen vielleicht noch eher zusagen könnte angesichts der geringen Zahl - um nicht vom völligen Fehlen zu sprechen - von guten dramatischen Autoren in Deutschland. Ich hatte Graf Zichy gebeten, Ihnen davon zu berichten; aber ich nehme an, daß Ihre Abwesenheit von Wien ihn daran gehindert hat.

Vor einigen Monaten habe ich hier die Bekanntschaft eines Herrn von Kleist gemacht, eines gebürtigen Preußen, den das Unglück seines Vaterlandes sowie eine ebenso hoch entwickelte wie ausgesprochene Neigung zur schönen Literatur veranlaßt haben, Dresden zum Aufenthaltsort zu wählen. Schon vor seiner Ankunft hatte ich mir zwei seiner dramatischen Arbeiten besorgt, eine Tragödie und eine Komödie, und zwar die einzigen von mehreren aus seiner Feder, die bisher veröffentlicht worden sind. Herr Ochsenheimer kann sie Ihnen vielleicht zugänglich machen. Obwohl sie bisher noch nicht auf der Bühne gespielt wurden, haben sie dennoch die Aufmerksamkeit der Kenner erregt, die von einer seltenen Begabung in dieser literarischen Gattung sprechen.

Der gleiche Autor hat mir nun gerade ein Manuskript für das Theater in Wien angeboten unter der Bedingung, daß ihm das Recht vorbehalten bleibe, den Text nach einer gewissen Zeit drucken zu lassen. Es handelt sich um eine Komödie mit dem Titel »Der zerbrochene Krug«, die ausdrücklich für eine Aufführung verfaßt ist. Ich vermag Ihnen, Herr Graf, den Wert des Stückes nicht besser zu beweisen als durch die Mitteilung, daß dieses Stück die eindeutige Zustimmung eines Kritikers von so hohem Rang, wie es Herr von Goethe ist, gefunden hat.

Lassen Sie mich bitte wissen, Herr Graf, ob Sie geneigt sind, das Manuskript zu erwerben, und wie hoch das Honorar wäre, das ich dem Autor für den Fall anbieten könnte, daß dieses Stück der Direktion genehm ist. Da Herr von Kleist bereits mit mehreren Stücken so weit ist, daß sie bald abgeschlossen sein dürften, zweifel ich kaum daran, daß eine erste Verhandlung in kurzer Zeit zu weiteren Schritten gleicher Art führen wird, und ich wäre glücklich, wenn ich seinem Talent die Aussicht gäbe, die Früchte seines Fleißes zu ernten, und als Vermittler damit zugleich meinem Vaterland nützlich sein würde. [französ.]

(Weiss, Hermann F.: Funde und Studien zu Heinrich von Kleist. Tübingen 1984, S. 125f.


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