Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 225a)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


[Böttiger.] Der Freimüthige. Berlin, 5./6. Februar 1808

Der vielversprechend angekündigte, und ungebührlich schon vor seinem Erscheinen in einer gelesenen Zeitung [s. LS 212] mit dem Satyr heimgesuchte Phöbus hat nun seine ersten Strahlen über uns leuchten lassen, und gewiß, sie verkünden in mehrerer Hinsicht einen heitern Tag.

Der Umschlag stellt den Sonnengott vor auf seiner Quadriga, umtanzt von den Horen, und Dresden erleuchtend. Über ihm die Himmelszeichen vom Löwen zum Schütz. Die Zeichnung war ursprünglich von dem genialen Hartmann zu einem Vorhange für das Dresdner Theater entworfen, da sie aber wegen Kostbarkeit der Ausführung nicht genehmigt ward, so fand sie hier einen bezeichnenden Platz. Sie ist vortrefflich gruppiert und gedacht, richtig und rein, und ein Schmuck des Journals. …

Nach einem Prologe des Hrn. v. Kleist, der bis auf den Anfang des Pentameters:

Und auch vom Wartturm entdeckt

recht gut versifiziert ist, nimmt nun beinah zweidrittel des ganzen 7 Bogen starken Hefts ein organisches Fragment, aus dem Trauerspiele Penthesilea des Herrn v. Kleist, ein. Das dürfte denn doch wohl ein wenig zu viel sein, wäre auch das Ganze weit gediegener, als die vorliegenden Bruchstücke, denn zum Organischen erheben sie doch kaum die beigefügten kurzen Erklärungen des Inhalts der ausgelassenen Szenen. Sogar der Schluß fehlt gänzlich, selbst die Andeutung davon. Über den Wert des Polyidos, der Aetolier [Tragödien von Joh. Aug. Apel, Leipzig 1805/06] und ähnlicher Arbeiten sind unbefangne Beurteiler meist einig, sie erkennen ihr Verdienst in Nachahmung griechischer Formen, können ihnen aber kein eigentümliches Lob zugestehen. Auch Penthesilea scheint in die Reihe dieser Dichtungen treten, zugleich aber auch dabei auf eine Genialität und Kühnheit Anspruch machen zu wollen, die ihr gerade am allerübelsten lassen, und das Gute, das sie noch besitzt, vollends ersticken. Die Geschichte gibt uns von selbst den Plan des Stücks, soweit es die Fragmente gewähren. Es ist der Kampf des Achilles und seiner Gefährten mit Penthesilea, die bald siegend, bald besiegt, endlich in liebender und doch Verderben ihr drohender Wut gegen ihn ausrückt, und ihn gefangen nimmt. Das Stück in Akte abzuteilen, wäre zu gemein gewesen; der Verfasser gibt uns bloß Auftritte. Der 22. schließt die Fragmente. Beweglichkeit ist viel in diesem Trauerspiele, denn die Helden und Amazonen gehen und kommen fleißig ab und zu; Handlung? - nach dieser soll man ja nicht fragen. Einfach ist sie freilich; denn sie ist durchaus nichts, als Kampf zwischen den beiden Heeren. … Man schimpft auf die jetzigen sogenannten Spektakelstücke, und besonders geht es über das Pferdegetrampel, das jetzt auf den großen Bühnen oft eintritt, her. Aber so toll, wie der Spektakel in diesem Trauerspiele getrieben wird, dürfte er doch wohl nirgends ausgeführt sein. Außer Scharen von Griechen und Amazonen, Mädchen und Müttern - Weibern kann man doch nicht sagen - treten im 19. Auftritt Amazonen mit Meuten gekoppelter Hunde und Elefanten, mit Sichelwagen und Fackeln auf. Nun folgt eine schöne Anrede der Penthesilea an ihre Hunde. … Hierzu rollt der Donner. Doch nun kömmt das Meisterstück.

Prothoe: O! sie ist außer sich!
Die Oberpriesterin. Sie ist wahnsinnig.
Penthesilea (kniet nieder, mit allen Zeichen der Raserei, während die Hunde ein gräßliches Geheul anstimmen).
Dich, Ares, ruf ich jetzt, usw.

Wenn das nicht packt, wenn das nicht theatralischen Effekt macht, so begreife ich nicht, wie irgend etwas sonst dies zu tun imstande ist. Ach! Du armer Kotzebue, über dessen Theatercoups man so sehr herzieht, hättest du das gewagt, ausgetrommelt wärest du von jedem Buben geworden!

Doch nur ein paar Worte noch vom Stil und Versbau. Der letztere ist im ganzen nicht zu tadeln, nur einzelne Stellen enthalten Härten … Dagegen finden sich eine Menge Stellen, wo der Sinn entweder ganz und gar nicht zu finden, oder doch sehr verdreht und verschroben ist. … Was sagt man zu neuen Worten wie: sich umkämpfen - die Straße verschlingen - die wetternde Flucht - keilförmige Vernunft - die Sehne strafft sich - matt zum Versinken - Begierden, die wie losgelassne Hunde, mir der Drommete erzne Lunge bellend - usw. …

Dagegen ist die Szene des 14. Auftritts zwischen Achill und Penthesilea voll Zartheit, Würde und Schönheit, im reinsten Stil, und sticht wunderbar gegen alle Umgehungen ab. Von dem Dichter der Familie Schroffenstein und des Amphitruon, von der ersten Stelle in einer Zeitschrift, die Goethens Begünstigung sich rühmt, von dem allgemeinen Rufe endlich, der dieser Penthesilea voranging, und dem Aufsehn, das Kleists Freunde von ihr verkündeten, konnte man, und mußte man durchaus etwas Besseres und Vollendeteres erwarten, als in diesen Fragmenten gegeben worden ist, und umso strenger und ausführlicher durfte die Kritik sein.

(Der Beschluß folgt.)

Der zweite Aufsatz des Phöbus, über die Bedeutung des Tanzes, verrät eine geübte Hand, die wir schon vorher einigemal mit Vergnügen in den Horen bemerkt haben [d. i. Chr. G. Körner]. Es sind nur Andeutungen zwar, aber gedacht und klar.

Der Engel am Grabe des Herrn, von Kleist, veranlaßt durch das erwähnte Hartmannsche Gemälde, ist ohne Bedeutung. Ein liebliches Geschenk dagegen ist ein Gedicht von Novalis an Dorothee, in der wir eine Dresdner verdienstvolle Pastellmalerin [Dora Stock] wiederzuerkennen glauben. Nun folgen Fragmente über die dramatische Poesie und Kunst. Es sind Auszüge aus den Vorlesungen, die Adam Müller im vorigen Jahre über diese Gegenstände hielt. Sie enthalten sehr viel Schönes und Gutes im edlen, belebten Stil vorgetragen. … Nur dürfte doch wohl, Seite 41, der Ausfall auf Iffland, der uns 20 Jahre mit seinen Schauspielen gelangweilt haben soll, sehr unbillig, so wie meist alle Ausfälle, sein. Wird man denn nie ein Verdienst anerkennen lernen, ohne ein anderes in den Staub herabzustürzen? …

Der letzte Aufsatz, über den schriftstellerischen Charakter der Frau von Stael-Holstein, wird jeder, der sich für die Werke dieser Dame interessiert, mit Teilnahme und Vergnügen lesen.

Das Ganze schließt nun ein Epilog von Heinrich von Kleist. Der eignen Beurteilung wegen mag er ganz hier stehn.

Ruhig! Ruhig! Nur sacht! Das saus't ja, Kronion, als wollten
Lenker und Wagen und Roß stürzend einschmettern zu Staub!
Niemand, ersuch' ich, übergeprescht! Wir lieben die Fahrt schon
Munter gestellt, doch es sind Häls uns und Beine uns lieb.
(Schöner Ausgang des Pentameters!)
Dir fehlt nichts als hinten der Schweif; auf der Warte zum mindsten
Weiß noch versammelt die Zunft nicht wo das aus will, wo ein.
(Jawohl, in den Kleistischen Versen!)
Führ' in die Ställ', ich bitte dich sehr, und laß jetzt verschnaufen,
Daß wir erwägen zu Nacht, was wir gehört und gesehn.
Weit noch ist, die vorliegt, die Bahn, und mit Wasser, o Phöbus,
Was du den Rossen auch gibst, kochst du zuletzt doch, wie wir.
Dich auch seh' ich noch schrittweis einher die Prustenden führen,
Und nicht immer, beim Zeus, sticht sie der Haber, wie heut.

Das Äußere dieser Zeitschrift ist sehr schön, der Druck korrekt und angenehm, das Quartformat selbst für den Zweck gut gewählt. Wir hoffen, daß ein Mann, wie Adam Müller, mit seiner feinen, treffenden und auf mannigfacher Bildung beruhenden Kritik gewiß derselben durch strenge Auswahl immer höhern Glanz geben werde. - cho -

(Sembdners Quelle: Der Freimüthige, oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser. 1808)


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