Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 204)
Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]
Gutachten der Dresdner Buchhändler. Ende Januar 1808
Diese Erklärung könnte sich auf die bloße Anzeige einschränken, die wir hiermit tun, daß Herr Müller sich irrte, wenn er glaubte, es sei ein fünftes Buchhandlungsprivilegium, um welches er ansuche - ein Irrtum, der ihm übrigens wohl begegnen konnte, da es nicht lange her ist, daß er sich aus dem Auslande anhero gewendet hat, und ihm die Bewandtnis, die es mit den hiesigen Handlungsprivilegien hat, und der Rechtsgrundsatz, daß Privilegien nur nach rechtsverwährtem Nichtgebrauche erlöschen, überhaupt unbekannt sein mag. Ew. Wohlgeb. und Hochweisen ist nämlich offiziell bekannt, daß dermalen fünf dergleichen, nämlich das Walthersche, Hilschersche, Gerlachsche, Arnoldische und Pinthersche Privilegium vorhanden ist. Die Buchhandlung, womit das letztere verbunden ist, hat zwar seit dem im vorigen Jahre erfolgten Tode ihres Besitzers darum geruhet, weil seinen Nachlaß das Los so vieler hiesigen Buchhandlungen getroffen hat, insolvent zu sein, und seine Erben daher denselben nicht sofort angetreten haben. So wie aber seit dem Jahre 1804, da der verstorbene Pinther solches erhalten hat, an sich nicht eine solche Zeit verflossen ist, binnen welcher rechtlicherweise Privilegien durch Nichtgebrauch aufhören, also ist sein Privilegium … an den bisherigen Buchhalter der Arnoldischen Buchhandlung, Herrn Winkler, gegen ein Kaufgeld von 1500 Rth. bis auf Allerhöchste Genehmigung überlassen worden, damit die Pintherschen Gläubiger wenigstens einige Masse zu ihrer Befriedigung hätten …
Da Herr Müller selbst so konsequent ist, um ein ausschließliches fünftes, obwohl irrig für erledigt gehaltenes, und nicht um ein, sonach ausgeschlossenes, sechstes Privilegium, dem ein künftiges siebentes, achtes, neuntes, zehntes ebensogut folgen könnte, angesucht hat, und da seine Voraussetzung, als ob eins der verfassungsmäßigen Privilegien aufgehört habe, nach dem vorigen unrichtig ist, so darf er gewiß nur dieses alles gelesen haben, um sein Gesuch selbst zurückzunehmen. …
Ich, Gerlach, bin bereits ein Opfer der Erteilung des fünften erloschenen Privilegii an Pinthern geworden, indem, als ich solches zu Befriedigung meiner Gläubiger verkaufen wollte, sich darum kein Käufer fand, weil man sich durch die Herstellung der ursprünglichen Zahl der Privilegien abhalten ließ, sich in ein nun gar unter fünf verteiltes Negoz einzulassen. … Und wiewohl eingangs genannter Herr Müller mir neuerlich für mein Privilegium nebst Zubehör 500 Rth. geboten hat, so stehen sie doch in keinem Verhältnisse zu dem Werte des Warenlagers und der Verlagsrechte, geschweige denn des Privilegii …
Es könnte aber Herr Müller auf den Versuch geraten, ob nicht gar ein sechstes Privilegium zu erlangen sei. … Indessen glauben wir, Herr Müller selbst, dessen wissenschaftlichen Verdiensten wir darum nicht weniger Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn wir seine praktischen Kenntnisse vom Buchhandel bezweifeln zu müssen glauben, werde selbst von einem solchen Gedanken abgeschreckt werden, wenn er folgendes in Überlegung gezogen haben wird. …
Dresden hat über 7.000 Einwohner weniger, als um die Mitte des vorigen Jahrhunderts, da schon die Zahl der Buchhandlungsprivilegien für die Volksmenge zu groß war. Natürlicherweise stehet aber die Volksmenge mit der Anzahl der Käufer, und diese mit dem Umfange des Buchhandels im Verhältnisse. …
Der Verlagshandel wird immer mißlicher, je mehr Bücher gedruckt und je weniger Bücher verkauft werden. Das erstere zeigt der Anwachs der Meßkatalogen, und das letztere erklärt sich teils aus der Menge der literarischen Zeitungen und gelehrten Journale, teils aus den erhöheten Preisen der Lebensbedürfnisse, daher es denn kommt, daß der Verleger, welcher sonst 1000 bis 1500 Exemplarien abdrucken ließ, jetzo höchstens 500 abdrucken zu lassen wagt. …
Die Erfahrung hat übrigens … gezeigt, daß, so paradox es auch scheint, die Spekulationen eines Gelehrten, der Buchhändler wird, wenn es schon nicht schaden kann, daß ein Buchhändler gelehrt ist, nur eingebildet sind … Der gelehrteste Mann, der tiefsinnigste Kopf, hat als solcher die praktischen Kenntnisse des viel umfassenden Kaufmannes nicht, als der Buchhändler ist. Er kann sie am Ende durch die Erfahrung freilich ebensogut erwerben, als der beim Buchhandel herangezogene Buchhändler, aber wenn es zu spät ist. Er beurteilt ferner den Geschmack oder das Bedürfnis des Publikums an Gegenständen des Buchhandels mehr nach seinem individuellen. Der Buchhandel des Gelehrten wird immer mehr Liebhaberei sein, welche mehr kostet als einbringt, mehr von Vorliebe für diejenigen Gegenstände, die ihm für Wissenschaft oder Kunst, und wohl nur für manche Wissenschaften, in seinen Augen einen höhern Wert haben, als vom Kaufmannsgeiste, ohne welchen keine Handlung solid sein kann, beseelt sein; seine an sich achtungswerten Zwecke werden am Ende selbst die Mittel vernichtet haben, die er brauchen wollte, um sie zu erreichen. Und ein mystischer Buchhändler vollends, wäre er auch aus Gelehrten in allen Fächern zusammengesetzt, wird bald in seinen Körpern die Krankheit erzeugen, die im Staate Anarchie heißt. Es lassen sich allerdings Projekte, deren Ausführungen in den Augen des Gelehrten sehr wünschenswert sein können, ausdenken, und mit dem vorteilhaftesten Kolorit darstellen. Dahin gehört, die besten Schriftsteller durch höhere Honorarien, als der Buchhändler geben zu können glaubt, an sich zu ziehen, und wenn der mystische Buchhändler eine Komposition von Schriftstellern selbst ist, sein Geisteswerk selbst, etwa mittels eines Anteils am Ertrage, teurer zu verkaufen, als der Buchhändler es kaufen mag, und was der Spekulationen dann alle mehr sein mögen. An folgendes wird aber nicht eher gedacht, als bis die Erfahrung den Schleier von den Augen genommen hat. Je höher das Honorarium ist, je teurer wird der Preis des Buches, oder je weniger bleibt von dem Gewinn für den Buchhändler übrig. Je teuer der Preis, je weniger Absatz. Je niedriger der Preis, desto weniger Entschädigung für fehlgeschlagene Verlagsartikel, und für inexegible Schulden. … So geschieht es dann, daß dergleichen glänzende Buchhandels-Unternehmungen, die sich nicht a priori berechnen lassen, weil dabei gar zu viel in Anschlag kömmt, was man nur a posteriori wissen kann, aufhören, wenn sie andere ruiniert haben. Ohnerachtet diese Folgen unmittelbar nur uns interessieren, so wird uns doch Herr Müller zutrauen, daß uns dieses Interesse nicht allein, sondern auch eine uneigennützige Teilnahme an den Schicksalen des Buchhandels überhaupt, … und selbst an dem Mißgeschick, dem Herrn Müllers kosmopolitische Plane am Ende ausgesetzt sein würden, aufrichtig nehmen. …
George Friedrich Walther, Christian Gottlob Hilscher, Heinrich Gerlach, August Wagner und Christoph Arnold.
(Sembdners Quelle: Baxa, Jakob: Die »Phoenix«-Buchhandlung. E. Beitrag z. Kleistforschung. Zeitschr. f. dt. Philologie, 1956, S. 171-185)
[Anmerkung Sembdner: »Adam Müllers Gesuch wurde am 22. Febr. 1808 abgelehnt.«]
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