Heinrich von Kleists Lebensspuren (LS 182a)

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Heinrich von Kleists Lebensspuren. Dokumente und Berichte der Zeitgenossen. Neu herausgegeben von Helmut Sembdner. München 1996. [In der Kleist-Literatur üblicherweise mit der Sigle LS und laufender Nummer zitiert.]


Goethe. Karlsbad, Juli 1807

13. Juli. Gegen Abend Hr. von Mohrenheim, russischer Legationssekretär, welcher mir den Amphitryon von Kleist, herausgegeben von Adam Müller, brachte. Ich las und verwunderte mich, als über das seltsamste Zeichen der Zeit. Abends sehr heftiges Gewitter, aber bald vorübergehend.

Der antike Sinn in Behandlung des Amphitryons ging auf Verwirrung der Sinne, auf den Zwiespalt der Sinne mit der Überzeugung. Wie im Miles gloriosus das eine Mädchen zwei Personen vorstellt, so stellen hier zwei Personen eine dar. Es ist das Motiv der Menächmen, nur mit dem Bewußtsein des einen Teils. Molière läßt den Unterschied zwischen Gemahl und Liebhaber vortreten, also eigentlich nur ein Gegenstand des Geistes, des Witzes und zarter Weltbemerkung. Wie es [Johannes] Falk genommen, wäre nachzusehen. [Falks »Amphitruon«, Halle 1804, besaß Goethe mit einer handschriftl. Widmung des Verfassers.] Der gegenwärtige, Kleist, geht bei den Hauptpersonen auf die Verwirrung des Gefühls hinaus. Höchstwahrscheinlich ist bei den Alten keine Hauptszene zwischen Jupiter und Alkmene vorgekommen, sondern die Hauptmotive fielen zwischen die beiden Sosien und Amphitryon. Die Situation zwischen Amphitryon und Alkmene enthält eigentlich auch kein dramatisches Motiv.

14. Juli. Zu Riemer: Das Stück Amphitryon von Kleist enthält nichts Geringeres, als eine Deutung der Fabel ins Christliche, in die Überschattung der Maria vom Heiligen Geist. So ist's in der Szene zwischen Zeus und Alkmene. Das Ende ist aber klatrig. Der wahre Amphitryon muß es sich gefallen lassen, daß ihm Zeus diese Ehre angetan hat. Sonst ist die Situation der Alkmene peinlich und die des Amphitryon zuletzt grausam.

15. Juli. Am Schloßbrunnen, mit Oberhofprediger Reinhard: über den neuen mystischen Amphitryon und dergleichen Zeichen der Zeit.

Tag- und Jahreshefte 1807 [1823 geschrieben]. Amphytrion [!] von Kleist erschien als ein bedeutendes, aber unerfreuliches Meteor eines neuen Literatur-Himmels, an welches sich Adam Müllers Vorlesung über spanisches Drama wohl geistreich und belehrend anschloß, aber auch nach gewissen Seiten hin eine besorgliche Apprehension aufregte.

(Sembdners Quelle: Goethe: Werke (Sophien-Ausgabe). 3. Abt.: Tagebücher. Bd. 3. Weimar 1889. – Goethe: Gespräche. Gesamtausgabe, neu hrsg. v. Flod. Frh. v. Biedermann. 2. Aufl., Leipzig 1909. Bd. 1, S. 503. – Goethe: Werke (Sophien-Ausgabe). 1. Abteilung: Werke. Weimar 1887-1918, Bd. 36, S. 388)


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