Brief 1811-07-00/02
Absender: Heinrich von Kleist
Adressat: Marie von Kleist
Müllers Abreise hat mich in große Einsamkeit versenkt. Er war es eigentlich, um dessentwillen ich mich vor nun ohngefähr einem Jahr wieder in Berlin niederließ, und ich bin gewiß, so wenig dies auch mancher begreifen wird, daß er mich in Wien, wohin ich ihm nicht habe folgen können, vermissen werde. Nicht als ob ich ihm zu seinem Zwecke daselbst hätte behülflich sein können, sondern weil er mich braucht, um sich dessen, was er sich erringt und erstrebt, am Ziel zu erfreuen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wie rührend mir die Freundschaft dieses Menschen ist, fast so rührend, wie seine Liebe zu seiner Frau. Denn sein Treiben in der Welt, abgerissen und unvollendet, wie es noch da liegt, ist mancherlei Mißdeutungen unterworfen: es gehört ein Wohlgefallen, so gänzlich rücksichtslos, und uneigennützig, in Persönlichkeiten, die ihm ganz fremd und ungleichartig sind, dazu, um die innerliche Unschuld und Güte seines Wesens zu erkennen. Derjenige, mit dem ich jetzt am liebsten, wenn ich die Wahl hätte, in ein näheres Verhältnis treten möchte, ist der gute, sonst nur zu sehr von mir vernachlässigte Achim Arnim. Aber dieser läßt sich, seitdem er verheiratet ist, weder bei mir noch einem andern sehen. Er hat sich mit seiner Frau ganz wie lebendig in einen Pavillon des Vossischen Gartens begraben, und es ist nichts Lächerlicheres zu sehen, als das Acharnement der Menschen über diese Einsamkeit. Sie würden ihm eher alles andre vergeben, als daß er sich bei seiner Frau besser gefällt als in ihrer nichtigen und erbärmlichen Gesellschaft. Auch Beckendorf, den ich sonst zuweilen sah, ist fort von hier, und ich kann wohl sagen, daß ich, von so mancher Seite verlassen, ihn mehr als sonst vermisse.
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