Brief 1811-04-25

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Berlin, 25. April 1811

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Friedrich de la Motte Fouqué


Mein liebster Fouqué,

Ihre liebe, freundliche Einladung, nach Nennhausen hinaus zu kommen und daselbst den Lenz auf blühen zu sehen, reizt mich mehr, als ich es sagen kann. Fast habe ich ganz und gar vergessen, wie die Natur aussieht. Noch heute ließ ich mich, in Geschäften, die ich abzumachen hatte, zwischen dem Ober- und Unterbaum, über die Spree setzen; und die Stille, die mich plötzlich in der Mitte der Stadt umgab, das Geräusch der Wellen, die Winde, die mich anwehten, es ging mir eine ganze Welt erloschener Empfindungen wieder auf. Inzwischen macht mir eine Entschädigungsforderung, die ich, wegen Unterdrückung des Abendblatts, an den Staatskanzler gerichtet habe, und die ich gern durchsetzen möchte, unmöglich, Berlin in diesem Augenblick zu verlassen. Der Staatskanzler hat mich, durch eine unerhörte und ganz willkürliche Strenge der Zensur, in die Notwendigkeit gesetzt, den ganzen Geist der Abendblätter, in bezug auf die öffentl. Angelegenheiten, umzuändern; und jetzt, da ich, wegen Nichterfüllung aller mir deshalb persönlich und durch die dritte Hand gegebenen Versprechungen, auf eine angemessene Entschädigung dringe: jetzt leugnet man mir, mit erbärmlicher diplomatischer List, alle Verhandlungen, weil sie nicht schriftlich gemacht worden sind, ab. Was sagen Sie zu solchem Verfahren, liebster Fouqué? Als ob ein Mann von Ehre, der ein Wort, ja, ja, nein, nein, empfängt, seinen Mann dafür nicht ebenso ansähe, als ob es, vor einem ganzen Tisch von Räten und Schreibern, mit Wachs und Petschaft, abgefaßt worden wäre? Auch bin ich, mit meiner dummen deutschen Art, bereits ebenso weit gekommen, als nur ein Punier hätte kommen können; denn ich besitze eine Erklärung, ganz wie ich sie wünsche, über die Wahrhaftigkeit meiner Behauptung, von den Händen des Staatskanzlers selbst. - Doch davon ein mehreres, wenn ich bei Ihnen bin, welches geschehen soll, sobald diese Sache ein wenig ins reine ist. - Müllers Buch, das ich damals, als Sie hier waren, besaß, mußte mir unseliger Weise bald darauf Marwitz aus Friedersdorf abborgen. Er nahm es, um es zu studieren, nach seinem Gute mit, und hat es noch bis diese Stunde nicht zurückgeschickt. Inzwischen habe ich schon Anstalten gemacht, es wieder zu erhalten; und ich hoffe es Ihnen, behufs Ihrer freundschaftlichen Absicht, durch Frh. v. Luck zuschicken zu können. Erinnern Sie das Volk daran, daß es da ist; das Buch ist eins von denen, welche die Störrigkeit der Zeit die sie einengt nur langsam wie eine Wurzel den Felsen, sprengen können; nicht par explosion. - Was schenken Sie uns denn für diese Messe? Wie gern empfinge ich es von Ihnen selbst, liebster Fouqué; ich meine, von Ihren Lippen, an Ihrem Schreibtisch, in der Umringung Ihrer teuren Familie! Denn die Erscheinung, die am meisten, bei der Betrachtung eines Kunstwerks, rührt, ist, dünkt mich, nicht das Werk selbst, sondern die Eigentümlichkeit des Geistes, der es hervorbrachte, und der sich, in unbewußter Freiheit und Lieblichkeit, darin entfaltet. - Nehmen Sie gleichwohl das Inliegende, wenn Sie es in diesem Sinne lesen wollen, mit Schonung und Nachsicht auf. Es kann auch, aber nur für einen sehr kritischen Freund, für eine Tinte meines Wesens gelten; es ist nach dem Tenier gearbeitet, und würde nichts wert sein, käme es nicht von einem, der in der Regel lieber dem göttlichen Raphael nachstrebt. Adieu! Es bleibt grade noch ein Platz zu einem Gruß an Fr. v. Briest, den ich hiermit gehorsamst bestelle. H. v. Kleist.
den 25. April 1811


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