Brief 1807-12-22/02
Absender: Heinrich von Kleist
Adressat: Karl Freiherr von Stein zum Altenstein
Verehrungswürdigster Herr Geheimer Oberfinanzrat,
Indem ich Ihnen, in der Anlage, die Anzeige eines Kunstjournals überschicke, das ich, unterstützt von Goethe und Wieland, für das Jahr 1808 herauszugeben denke, mache ich den Anfang damit, einer sehr heiligen Forderung meiner Seele ein Genüge zu tun. Denn niemals wird das Bestreben in mir erlöschen, der Welt zu zeigen, daß ich der Güte und Gewogenheit, deren Sie mich, bei meiner Anstellung in Berlin, würdigten, wenn auch nicht in dem Sinn, in dem ich es damals versprach, doch in einem anderen, würdig war. Sie wissen wohl nicht, mein verehrungswürdigster Freund, welch ein sonderbares Schicksal mich, auf meiner Reise von Königsberg nach Dresden getroffen hat? Ich ward, gleich nach meiner Ankunft in Berlin, durch den Gen. Clarke, kein Mensch weiß, warum? arretiert, und als ein Staatsgefangener, durch die Gensdarmerie, nach dem Fort de Joux (bei Neufchâtel) abgeführt. Hier saß ich, in einem abscheulichen Gefängnis, fünf Wochen lang, hinter Gitter und Riegel, bis ich späterhin nach Châlons zu den übrigen Kriegsgefangenen gebracht, und endlich, auf die dringende Fürsprache meiner Verwandten, wieder in Freiheit gesetzt ward. Doch es ist dahin gekommen, daß man, wie Rosse im Macbeth sagt, beim Klang der Sterbeglocke nicht mehr fragt, wen es gilt? Das Unglück der vergangenen Stunde ist was altes. - Jetzt lebe ich in Dresden, als dem günstigsten Ort in dieser, für die Kunst, höchst ungünstigen Zeit, um einige Pläne, die ich gefaßt habe, auszuführen. Möchten wir uns recht bald in Berlin wiedersehen! Denn niemals, wohin ich mich auch, durch die Umstände gedrängt, wenden muß, wird mein Herz ein anderes Vaterland wählen, als das, worin ich geboren bin. Erhalten Sie mir in Ihrer Brust die Gefühle, auf die ich stolz bin, niemals wird die innigste Verehrung und Dankbarkeit in mir erlöschen, und wenn Sie jemals eines Freundes und einer Tat, bedürfen, so finden Sie keinen, der sich mit treuerem und heißerem Bestreben für Sie hingeben wird, als mich. Ich sterbe mit der Liebe, mit welcher ich mich nenne, Verehrungswürdigster Herr Geheimer Oberfinanzrat,
Ihr ergebenster
Heinrich von Kleist.
Dresden, den 22. Dez. 1807
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