Brief 1806-08-04

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Königsberg, 4. August 1806

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Karl Freiherr von Stein zum Altenstein


Ich küsse Ihnen voll der innigsten Rührung und Liebe die Hände, mein verehrungswürdigster Herr Geheimer Oberfinanzrat! Wie empfindlich für fremde Leiden macht das eigene! Wie sehr haben Sie dies in Ihrem mir ewig teuren Briefe gezeigt, wie sehr ich es, als ich ihn las, gefühlt! Ach, was ist dies für eine Welt! Wie kann ein edles Wesen, ein denkendes und empfindendes, wie der Mensch, hier glücklich sein! Wie kann er es nur wollen, hier, wo alles mit dem Tode endigt! Wir begegnen uns, drei Frühlinge lieben wir uns, und eine Ewigkeit fliehen wir wieder auseinander! Und was ist des Strebens wert, wenn es die Liebe nicht ist! O es muß noch etwas anderes geben, als Liebe, Ruhm, Glück usw., x, y, z, wovon unsre Seelen nichts träumen. Nur darum ist dieses Gewimmel von Erscheinungen angeordnet, damit der Mensch an keiner hafte. Es kann kein böser Geist sein, der an der Spitze der Welt steht: es ist ein bloß unbegriffener! Lächeln wir nicht auch, wenn die Kinder weinen? Denken Sie nur, diese unendliche Fortdauer! Millionen von Zeiträumen, jedweder ein Leben, und für jedweden eine Erscheinung, wie diese Welt! Wie doch der kleine Stern heißen mag, den man auf dem Sirius, wenn der Himmel klar ist, sieht? Und dieses ganze ungeheure Firmament, das die Phantasie nicht ermessen kann, nur ein Stäubchen gegen den unendlichen Raum! O mein edler Freund, ist dies ein Traum? Zwischen je zwei Lindenblättern, abends, wenn wir auf dem Rücken liegen, eine Aussicht, an Ahndungen reicher, als Gedanken fassen, und Worte sagen können! - Wenn ich doch nur einen Nachmittag an Ihrer Seite sein könnte! Denn - wo soll ich anfangen? Wie soll ich es möglich machen, in einem Briefe etwas so Zartes, als ein Gedanke ist, auszuprägen? Ja, wenn man Tränen schreiben könnte - doch so - - Ich ging mit dem Entschluß - Wunsch wenigstens (denn so etwas läßt sich nicht beschließen) zum Hr. Gh. Ob. Fin. Rat v. Schön: ich wollte mich ihm anvertrauen. Denn wer hätte ein größeres Recht darauf, als derjenige, auf den Sie mich als Ihren Freund zu verweisen, würdigen? Doch - es teilten sich so viele andere, die ihm aufwarten wollten, in seine Aufmerksamkeit; und mein unbescheidnes Herz wäre mit seiner doppelten kaum zufrieden gewesen - Wären Sie doch selbst gekommen! Ich höre, daß Sie nahe dabei gewesen sind, diesen Entschluß zu fassen! - Mein verehrungswürdigster Herr Geheimer Ob. Fin. Rat! Ich mache von Ihrem gütigen Anerbieten, mir Urlaub zu bewilligen, Gebrauch! Ich sende heute einen Brief an den Hr. Staatsminister v. Hardenberg ab, in welchem ich mir einen sechsmonatlichen Urlaub erbitte. Ist diese Bitte zu unbescheiden, so bin ich mit einem fünf- auch viermonatlichen zufrieden. Ich wünsche im Innersten meiner Seele, mich Ihrer Güte einst noch würdig zeigen zu können. Nur jetzt bin ich dazu unfähig. Daß ich auf Diäten, während dieser Zeit, keine Ansprüche mache, glaube ich, mein verehrungswürdigster Freund! gar nicht erklären zu müssen. Auch selbst, ob ich die rückständigen noch empfangen soll, wird ganz von Ihrer Güte abhängen. - Übrigens befinde ich mich jetzt allerdings weit besser, und genieße sehr oft, und mit Heiterkeit, des Vergnügens, im Hause des Hr. Präsidenten eingeladen zu werden. Die Frau Präsidentin, diese vortreffliche Dame, zeigt eine Güte für mich, die mir auf eine unbeschreibliche Art wohl tut. Wie viel bin ich Ihnen schuldig! - Ihre Verfügungen über alle diese Bitten werde ich noch hier erwarten, und verharre inzwischen mit der innigsten Ehrfurcht und Liebe, Ew. Hochwohlgeb. ergebenster

H. v. Kleist.

Königsberg, den 4. August [1806]


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