Brief 1805-05-13

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Königsberg, 13. Mai 1805

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Karl Freiherr von Stein zum Altenstein


Hochwohlgeborner Freiherr,
Hochzuverehrender Herr Geheimer Finanzrat,

Ew. Hochwohlgeboren verfehle ich nicht, von meiner, am 6. dieses erfolgten, glücklichen Ankunft in Königsberg gehorsamst zu benachrichtigen. Ich würde schon den 4. dieses hier eingetroffen sein, wenn mein, in Frankfurt aufgefundner, Wagen nicht einer gänzlichen Herstellung bedurft hätte, und ich sonach zu einem Aufenthalte daselbst von zwei Tagen genötigt worden wäre. Von hier aus ging es inzwischen in ununterbrochener Reise, Tag und Nacht, weiter, und ich glaube mich um so mehr wegen jener kleinen Versäumnis für entschuldigt halten zu dürfen, da ich den Kriegsrat Müller, mit welchem ich von Berlin abzugehen bestimmt war, schon in Marienwerder wieder einholte. Bei dieser großen Schnelligkeit meiner Reise, und dem an Erscheinungen eben nicht reichen Lande, durch welches sie mich führte, blieb meinem Wunsche, mich überall zu unterrichten, kaum mehr, als eine oder die andere flüchtige Wahrnehmung übrig. Wie viel würden nichts desto weniger Sie, oder irgend ein geübterer Statistiker, wer es auch sei, an meiner Stelle gesehen haben. Denn es kommt überall nicht auf den Gegenstand, sondern auf das Auge an, das ihn betrachtet, und unter den Sinnen eines Denkers wird alles zum Stoff. - Ich ging, Ihrem Befehl gemäß, gleich am folgenden Tage zu dem Herrn Kammerpräs. v. Auerswald, um mich bei ihm zu melden. Er empfing mich mit vieler Güte, und sagte mir, daß er bereits offiziell sowohl, als auch durch den Hr. v. Schöne, seinen Schwiegersohn, von dem Zweck meiner Ankunft in Königsberg unterrichtet wäre. Er erteilte mir die Versicherung, daß er mir zu allen Geschäften, die zu meiner Instruktion dienen könnten, Gelegenheit machen würde, und befahl mir zuvörderst, Freitag, morgens, auf der Kammer zu erscheinen. Mein zweiter Gang war zu dem Hr. Kammerdir. v. Salis. Dieser gewiß, wenn mir ein Urteil über ihn erlaubt ist, vortreffliche Mann, hat mich auf das Empfehlungsschreiben womit mich der Hr. Geh. Fin. Rat Nagler zu Berlin beehrte, auf das freundschaftlichste aufgenommen. Er kam mir nicht nur sogleich mit den gefälligsten Anerbietungen entgegen, sondern flößte mir auch, was noch mehr wert war, das Vertrauen ein, davon Gebrauch zu machen. Ihm verdanke ich zum Teil die Anordnung meiner kleinen Ökonomie, er hat mir die Bekanntschaft mehrerer der hiesigen Professoren verschafft, mich bei der Kammer, und in alle Büros derselben, eingeführt, und eben jetzt komme ich von einer Unterredung mit ihm, in welcher er mir einen sehr zweckmäßigen Plan über die Folgereihe meiner Studien und Geschäfte, zur Erfüllung der ganzen Absicht meiner Reise nach Königsberg, mitgeteilt hat. Ich unterstehe mich, Ew. Hochwohlgeb. ergebenst zu bitten, den Hr. Geh. Fin. Rat Nagler für jene gütige Empfehlung, der ich ohne Zweifel alle diese Gefälligkeiten verdanke, meinen gehorsamsten und herzlichsten Dank abzustatten. - Am Freitag habe ich nun wirklich der ersten Session des Kollegiums beigewohnt. Ich habe das Gelübde der Verschwiegenheit mit einem Handschlag bekräftigen, und sodann an einem abgesonderten Tische, unter mehreren Offizieren der hiesigen Garnison, Platz nehmen müssen. Mein ganzes Geschäft bestand, nach meinem eignen Wunsche, an diesem Tage im Hören und Sehen, doch glaube ich, in einiger Zeit zur Übernahme der Akten, und zu den Vorträgen selbst, schreiten zu dürfen. Ich werde, nach dem Vorschlage des Hr. v. Salis, den Anfang mit den Steuersachen machen, und zwar mit den ländlichen, und dann zu den städtischen übergehen. Zuletzt dürfte ein Jahr eine zu kurze Zeit sein, um mich in allen Fächern dieser weitläufigen Kameral-Verwaltung, besonders wenn ich, wie es Ihr Befehl war, [mich] mit so vielem Ernste in das Domänenfach werfen sollte, umzusehen; doch werde ich gewiß nichts unterlassen, um die Strafe einer inkonsequent verlebten Jugend, so sehr sie durch Ihre Güte auch gemildert wird, nicht mehr, als ich es verdiene, zu verlängern. -Vorgestern habe ich nun auch einer finanzwissenschaftlichen Vorlesung des Professors Krause beigewohnt: ein kleiner, unansehnlich gebildeter Mann, der mit fest geschlossenen Augen, unter Gebärden, als ob er im Kreisen begriffen wäre, auf dem Katheder sitzt; aber wirklich Ideen, mit Hand und Fuß, wie man sagt, zur Welt bringt. Er streut Gedanken, wie ein Reicher Geld aus, mit vollen Händen, und führt keine Bücher bei sich, die sonst gewöhnlich, ein Notpfennig, den öffentlichen Lehrern zur Seite liegen. In seiner dieshalbjährigen Vorlesung ist er schon ziemlich weit vorgerückt, doch wird mir Gelegenheit werden, das Vorgetragene noch nachzuholen. Gewerbkunde und Staatswirtschaft, seine Hauptkollegia, liest er inzwischen erst im Winter, und ich werde den Sommer benutzen können, Institutionen oder Pandekten, vielleicht auch die Chemie bei Hagen zu hören, um mich auch in dieser Wissenschaft ein wenig herzustellen. - Doch ich werde zu weitläufig. Meine Voraussetzung, daß Sie an manchen dieser kleinen, nicht sowohl mein Geschäft, als mich, betreffenden Umständen, einigen Anteil nehmen, ist vielleicht noch zu voreilig; doch werde ich das Geschäft meines Lebens daraus machen, mich darum zu bewerben.

Noch muß ich inzwischen Ew. Hochwohlgeb. melden, daß ich das Dekret vom 28. April erhalten - auch, daß ich mich, nach Ew. Hochwohlgeb. Rate, bei des Hr. Staatsministers v. Schrötters Exzll. schriftlich bedankt habe. - Werd ich meine Diäten von Berlin aus, oder vielleicht eine Anweisung zur Erhebung derselben in Königsberg erhalten?

Ich beharre mit der innigsten und ehrfurchtsvollesten Hochachtung

Ew. Hochwohlgebor. ergebenster

H. v. Kleist.

Königsberg, den 13. Mai 1805


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