Brief 1801-01-21

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Berlin, 21. (und 22.) Januar 1801

Absender: Heinrich von Kleist

Adressat: Wilhelmine von Zenge


Berlin, den 21. (und 22.) Januar 1801

Liebe Wilhelmine, ich habe bei Clausius zu Mittag gespeiset und mich gegen Abend (jetzt ist es 7 Uhr) weggeschlichen, um ein Stündchen mit Dir zu plaudern. Wie froh macht mich die stille Einsamkeit meines Zimmers gegen das laute Gewühl jener Gesellschaft, der ich soeben entfloh! Ich saß bei Minna, und das war das einzige Vergnügen, das ich genoß - die andern waren lauter Menschen, die man sieht und wieder vergißt, sobald man die Türe hinter sich zu gemacht hat. Eine magdeburgische Kaufmannsfamilie waren die Hauptpersonen des Festes. Der Vater, ein Hypochonder, gesteht, er sei weit fröhlicher gewesen, als er ehemals nur 100 000 Rth. besaß - - Mutter und Tochter tragen ganz Amerika an ihrem Leibe, die Mutter das nördliche, Labrador, die Tochter das südliche, Peru. Jene trägt auf ihrem Kopfe einen ganzen Himmel von Diamanten, Sonne, Mond und Sterne, und es scheint, als ob sie mit diesem Himmel zufrieden sei; diese hat ihren Busen in zehnfache Ketten von Gold geschlagen, und es hat das Ansehn, als ob er, unter diesen Fesseln, nichts Höheres begehrte. Man wird, wenn man vor ihnen steht, ganz kalt, wie der Stein und das Metall, womit sie bepanzert sind. Leckerbissen sind es, die der Fischer über den Angelhaken zieht, damit der Fisch ihn nicht sehe - und auf gut Glück wirft er ihn aus in den Strom - aber wer den Betrug kennt, schaudert; denn so schön der Schmuck auch ist, so fürchte ich doch, daß er an ihnen das - Schönste ist.

Doch nichts mehr von ihnen - von Dir, liebes Minchen, laß mich sprechen; ihnen konnte ich aus meiner Seele kein Wort schenken - für Dich habe ich tausende auf dem Herzen.

Ich muß Dir auf zwei Briefe antworten; aber ich kann es nur kurz - o über jeden Gedanken möchte ich tagelang mit Dir plaudern, aber Du kennst es, das einzige, was ich höher achte - Nicht verloren nenne ich die Stunden, die ich Dir widme, aber ich sollte sie doch meinen, oder vielmehr unseren Zwecken nicht entziehen. Daher hatte ich auch zu Anfange nur etwa auf einen Brief für jede 14 Tage gerechnet; aber wie könnte ich schweigen, wenn Du mir so schreibst? Deinen ersten Brief (vom 15.) empfing ich eine 1/4 Stunde vorher, ehe Clausius‘ Wagen vor meine Türe fuhr, mich abzuholen zum Kolonieball - o wie gern hätte ich mich gleich niedergesetzt Dir zu antworten. So tief kannst Du empfinden, Mädchen -? Ich kenne die Erzählung vom »Las Casas« nicht und weiß nicht, ob sie ein so inniges Interesse verdient, obschon es von einem Schriftsteller, wie Engel, zu erwarten ist. Aber das ist gleichviel - daß Du so tief und innig empfinden kannst, war mir eine neue, frohe Entdeckung. Große Empfindungen zeigen eine starke, umfassende Seele an. Wo der Wind das Meer nur flüchtig kräuselt, da ist es flach, aber wo er Wellen türmt, da ist es tief- Ich umarme Dich mit Stolz, mein starkes Mädchen. Der Zweifel, der Dir bei der Lesung des »Ätna« einfiel, ob ich nämlich nicht gleichgültig gegen Dich werden würde, wenn mir Dein Besitz gewiß wäre, möge Dich nicht beunruhigen. Laß nur Deine Liebe immer für mich den Preis der Tugend sein, so wie es die meinige für Dich sein soll - dann wird es immer für uns etwas geben, das des Bestrebens würdig ist, und wenn es nicht mehr das Geschenk der Liebe selbst ist, die wir schon besitzen, so ist es doch die Erhaltung derselben, da wir sie immer noch verlieren können.

Du hast ein gutes Vertrauen zu dem Strome, der die Eisscholle trug, ein Vertrauen, das wir beide rechtfertigen können und wollen und werden. So weit auch die Klippe hervorragt in den Lauf des Stromes, die Scholle, die er trägt, scheiternd an sich zu ziehn - sein Lauf ist zu sicher, er führt sie, wenn sie auch die Klippe berührt, ruhig fort ins Meer - -

Ganz willige ich [in] Deinen Vorschlag, ein oder ein paar Wochen mit Schreiben zu pausieren, um nur dann desto mehr schreiben zu können. Sorge und Mühe muß Dir dieser Briefwechsel nie machen, der nur die Stelle eines Vergnügens, nämlich uns mündlich zu unterhalten, ersetzen soll.

Die älteste Schulz ist allerdings ein Mädchen, das mir sehr gefällt, und von dem Du viel lernen kannst. Sie hat Nutzen gezogen aus dem Umgange mit aufgeklärten Leuten und gute Bücher nicht bloß gelesen, sondern auch empfunden - Aber ich sehe nach der Uhr, es ist Zeit, daß ich wieder von Dir scheide. Ich muß wieder zu Clausius, so gern ich auch bei Dir bliebe. Wann werde ich mich nie von Dir trennen dürfen?

den 22. Januar

Ich komme nun zu Deinem andern Briefe.

Schmerzhaft ist es mir, wenn Du mir sagst, daß ich selbst an der Vernachlässigung Deines eignen Äußern schuld bin - - So freilich, wie Du diesen Gegenstand betrachtest, kannst Du recht haben. Du verstehst unter dem Äußern nur Deine Kleidung, und daß diese nicht mehr so gewählt und preziös ist und nicht mehr so viel Geld und was noch schlimmer ist so viel Zeit kostet, daran mag ich freilich schuld sein und es reut mich nicht. Ich bin immer in Wohnzimmern lieber als in den sogenannten Putzstuben, wo ich mich eng und gepreßt fühle, weil ich kaum auftreten und nichts anrühren darf. Fast auf eine ähnliche Art unterscheide ich die bloß angezognen, und die geschmückten Mädchen. Dieser künstliche Bau von Seide und Gold und Edelsteinen, die Sorge, die daraus hervorleuchtet, die vergangne für seine Aufführung, die gegenwärtige für seine Erhaltung, die hervorstechende Absicht, Augen auf sich zu ziehn, und in Ermangelung eignen Glanzes durch etwas zu glänzen, das ganz fremdartig ist und gar keinen innern Wert hat, das alles führt die Seele auf einen Ideengang, der unmöglich den Mädchen günstig sein kann. Daher schaden sie sich meistens selbst durch den Staat - daß Du aber diesen abgelegt hast, das habe ich nie an Dir getadelt. Ich habe Dich nie ordnungs- und geschmacklos angezogen gefunden, und das würde ich Dir gewiß haben merken lassen; denn eine einfache und gefällige Unterstützung ihrer natürlichen Reize ist den Mädchen mehr als bloß erlaubt und die gänzliche Vernachlässigung desselben ist gewiß tadelnswürdig. Aber, liebes Mädchen, an Deiner Kleidung habe ich ja nie etwas ausgesetzt, und wenn ich einmal stillschweigend Dich fühlen ließ, daß mir an Deinem Äußern etwas zu wünschen übrig blieb, so verstand ich darunter etwas ganz anderes. - - Doch dieses ist gar kein Gegenstand für die Sprache, noch weit weniger für die Belehrung. Dieses Äußere kann nicht zugeschnitten werden, wie ein Kleid, es gründet sich in der Seele, von ihr muß es ausgehen, und sie muß es der Haltung, der Bewegung mitteilen, weil es sonst bloß theatralisch ist.

Wenn Du mich nicht verstehen solltest, so halte darum diese unverständliche Sprache nicht für Geschwätz. Fahre nur fort Dich auszubilden, und wenn sich einst auch Dein Sinn für das Schöne erhöht und verfeinert hat, so lies dies einmal wieder. Dann wirst Du es verstehn.

Deine Übereilung in der Teegesellschaft bei Tante Massow darf ich nicht mehr richten; Du hast Dich schon selbst gerichtet. Fahre fort so aufmerksam auf Dich selbst zu sein, und wenn auch jetzt zuweilen Blicke in Dein Inneres Dich schmerzen, künftig werden sie Dich entzücken. - Keine Tugend ist weiblicher, als Duldsamkeit bei den Fehlern andrer. Darüber will ich Dir künftig etwas schreiben. Erinnere mich daran. Adieu. Ich danke für das Geld, bald empfängst Du es wieder. H. K.


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